# taz.de -- Jasmin Ramadan Einfach gesagt: Konsum des Grauens | |
Schrecklich, einfach alles schrecklich!“, sagt die junge Frau in der | |
Vierergruppe in der U3 und starrt wie alle auf ihr Telefon. | |
„Voll, der Albtraum ist Real-Horror, hier und überall“, sagt der Typ neben | |
ihr; und der gegenüber: „Endzeit, universal Stereo vollverstärkt | |
eingeläutet, würd’ich sagen!“ | |
„Minimum“, sagt die Frau neben ihm. | |
Ein älterer Herr wendet sich ihnen zu: „Na, jetzt packt doch für’n Weilch… | |
eure Geräte in die Tasche und denkt mal an was anderes!“ | |
Alle blicken konsterniert auf, eine sagt: „Und an was jetzt genau?“ | |
„Na ja“, sagt er, „beschäftigt euch mit was, das die Seele zwischendrin | |
beruhigt, ihr müsst doch auch mal runterkommen!“ | |
„Existiert so was wie Seele real analog? Und wo eigentlich genau?“, fragt | |
einer der Typen. | |
„Du meinst in welchem Organ?“ | |
„Glaub nicht, dass die Seele in einem Organ sitzt.“ | |
„Na, eher als im Telefon.“ | |
„Hat die Seele einen schlüssigen Wikipedia-Eintrag?“ | |
Der Mann schlägt die Hände zusammen und sagt: „Ihr findet nicht alle | |
Antworten da drin! Es geht darum, was ihr überhaupt fühlt!“ | |
Er holt tief Luft und fährt fort: „Wisst ihr, ich bin fast 80, der Krebs | |
ist zweimal wiedergekommen, da findet man Strategien, trotz dessen | |
einigermaßen gut drauf zu sein, obwohl man nie weiß, ob man übermorgen noch | |
da is’!“ | |
„Na ja“, sagt eine der Frauen, „is’aber ziemlich doll verschieden, das | |
eigene Leid wegzuschieben oder das von anderen.“ | |
„Ja, nu, aber ihr könnt euch doch nicht das ganze Leid aufhalsen, das da | |
tagein, tagaus in eurem Telefon zur Verfügung steht, da werdet ihr | |
irrlichternd, dreht durch, noch bevor ihr 25 und halbwegs erwachsen seid.“ | |
„Aber wie komm’ich moralisch drauf klar, mich abzuwenden?“ | |
„Und man will ja verstehen, was vor sich geht, zumindest in Deutschland bei | |
der Mainstreamisierung der Faschos.“ | |
Eine Frau aus einer anderen Sitzreihe ruft: „Jetzt genießt eure Jugend und | |
wenn ihr meint, die Welt geht unter, habt ihr doch wenigstens den | |
Klimawandel von der Backe!“ | |
Eine der jungen Frauen ruft zurück: „Wow, sind Sie kaputt!!“ | |
„Na und? Da pass’ich doch gut zum Rest der Welt!“ | |
Die Bettlerin, die zugestiegen ist, sagt: „Es war immer schon scheiße, | |
jetzt kriegt man einfach nur mehr mit.“ | |
„Und deshalb bist du auch aus allem ausgestiegen!“, ruft die Frau. | |
„Bin ich nicht, ich hab immer noch ein Telefon.“ | |
„Und ein Telefon zu haben bedeutet, dabei zu sein?“ | |
„Ja!“, sagt die Vierergruppe im Chor. | |
Und einer von ihnen sagt: „Man guckt, was geschieht, wie es weitergeht, den | |
ganzen Tag.“ | |
„Wer sich wie positioniert.“ | |
„Wie andere reagieren.“ | |
„Wer ausrastet.“ | |
„Wer Ruhe bewahrt.“ | |
„Wer endlich was richtig Kluges sagt!“ | |
„Und ob doch noch was Gutes passiert.“ | |
„Und dann?“, fragt die Frau aus der anderen Sitzreihe. | |
„Meist nichts.“ | |
„Frust.“ | |
„Angst.“ | |
„Ablenkung.“ | |
„Womit denn?“, fragt die Bettlerin. | |
„Hm, wenn ich ehrlich bin, fange ich irgendwann im Psychostress an zu | |
gucken, was so im Sale ist.“ | |
„Ich bestelle irgendeinen Scheiß, zuletzt extra große Gläser.“ | |
„Den gleichen Schal in der dritten Farbe.“ | |
„Eine 50.000 Milliampere-Powerbank!“ | |
„Multivitamine mit Algenölen.“ | |
„Dreimal den gleichen roten Lippenstift.“ | |
„Das neue iPhone.“ | |
13 Oct 2023 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Ramadan | |
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