# taz.de -- Hagai Dagan Fernsicht – Israel: Wer von euch ohne Sünde ist, de… | |
Dani Dayan, Leiter der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, | |
reiste vor Kurzem nach Litauen und beschwerte sich dort über die Litauer, | |
weil sie Kriegsverbrecher verherrlichten. Grund für seinen Zorn ist die | |
Tatsache, dass in Litauen zahlreiche Straßen die Namen „litauischer | |
Patrioten“ wie Jonas Noreika tragen, der im Kampf gegen Russland mit den | |
Nazis kollaborierte. Ein Teil dieser Männer spielte gleichzeitig eine | |
wichtige Rolle bei der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen | |
Bevölkerung. | |
Das aktive Zutun von Litauern bei der Massenvernichtung war präzedenzlos. | |
96 Prozent der 220.000 Juden und Jüdinnen, die bis 1941 in Litauen lebten, | |
wurden ermordet. Aus einer Studie von Efraim Zuroff vom | |
Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem und der litauischen Journalistin und | |
Autorin Ruta Vanagaite geht hervor, dass mindestens 20.000 Litauer auf die | |
ein oder andere Weise am Massenmord beteiligt waren. In dieser Hinsicht hat | |
Dani Dayan durchaus recht, wenn er die Litauer vor dem Seimas in Vilnius | |
dafür tadelt und erklärt, dass „derartige Namen weder Ihrer Nation noch | |
Ihrem Ansehen hinsichtlich internationaler Erinnerungsnormen Ehre antun“. | |
Wobei zugegebenermaßen die große Bedeutung der Befreiung von der | |
sowjetischen Unterdrückung durchaus nachvollziehbar ist. | |
In dieser Hinsicht unterscheiden sich Litauen, Lettland, Estland, die | |
Ukraine und Polen grundsätzlich von Deutschland, wo eine beeindruckende | |
„Erinnerungsarbeit“ geleistet wurde. Interessanterweise führte die ehrliche | |
Konfrontation mit den Schrecken der Vergangenheit zu Problemen mit dem | |
eigenen Nationalgefühl und mit dem Konzept des Patriotismus. Die | |
Unterdrückung jeglichen Nationalstolzes führte zu dem im | |
Nachkriegsdeutschland beispiellosen Aufschwung rechter Strömungen. Der | |
wiederum stößt auf beeindruckenden Widerstand vonseiten liberaler Kräfte. | |
Derart liberale Kräfte gibt es auch in Litauen, die jedoch an Grenzen | |
stoßen durch das ausgeprägte Nationalgefühl, das mit dem Zusammenbruch der | |
Sowjetunion noch an enormer Dynamik gewann. | |
In Bezug auf Israel lässt sich sagen, dass ungefähr zur gleichen Zeit, als | |
Dani Dayan die Litauer tadelte, in Jerusalem die Knesset-Abgeordnete Limor | |
Son Har-Melech den als Mörder verurteilten Amiram Ben-Oliel als „heiligen | |
Gerechten“ bezeichnete. Der junge nationalreligiöse Siedler hatte eine | |
Brandbombe in ein Haus geworfen, wo die palästinensische Familie Dawabsche | |
schlief. Das Ehepaar und ihr 18 Monate alter Sohn starben an ihren | |
Verbrennungen. Die Parlamentarierin Son Har-Melech gehört der | |
rechtsradikalen Regierungspartei Jüdische Kraft des umstrittenen | |
Sicherheitsministers Itamar Ben-Gvir an. Sie repräsentiert eine wachsende | |
Öffentlichkeit in den israelischen Siedlungen, aber auch innerhalb Israels. | |
Der Mörder Ben-Oliel ist ihr neuer Held. Für diese Öffentlichkeit ist das | |
Verbrennen von Menschen, weil sie Araber und Palästinenser sind, tugend- | |
und heldenhaft. In ihren Augen ist Ben-Oliel ein wahrer Patriot und Vorbild | |
für die Jugend. Sind diese Leute so unterschiedlich von den Litauern, die | |
die Mörder von Juden und Jüdinnen verehren? Meiner Meinung nach sind sie | |
schlimmer, denn sie verherrlichen Abscheuliches, das sich in der Gegenwart | |
zuträgt. | |
Wenn wir uns Dani Dayans tadelnde Worte, dass „derartige Namen weder Ihrer | |
Nation noch Ihrem Ansehen hinsichtlich internationaler Erinnerungsnormen | |
Ehre antun“, vor Augen halten, dann ließe sich verschärfend sagen: Diese | |
Leute sind eine derartige Schande für ihre Nation, dass es kaum vorstellbar | |
ist, wie sie je wieder getilgt werden kann. | |
Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul | |
30 Sep 2023 | |
## AUTOREN | |
Hagai Dagan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |