# taz.de -- Luisa Neubauer über Wege zu Klimapolitik: Kulturkampf kann man nur… | |
> Fünf Jahre nach dem ersten Klimastreik kann man live sehen, wie das | |
> Schöne der Klimabewegung in Teilen dem Verhärteten weicht. | |
Bild: Luisa Neubauer vor dem globalen Klimastreik am 15. September 2023 | |
[1][taz FUTURZWEI] | Anfang August erlebt Slowenien die schwersten Fluten | |
in der Geschichte des Landes, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der | |
Leyen reist an, der deutsche Kanzler verspricht Hilfe. Als Nika Kovač, eine | |
bekannte slowenische Aktivistin, mir davon erzählt, buche ich einen Zug. | |
Zwei Tage später stehe mit anderen Aktivistinnen knietief im Schlamm und | |
schaufle. Man steht aber nicht in irgendwelchem Schlamm. Das Erste, was bei | |
solchen Fluten überläuft, sind die Abwasserkanäle, alles ist kontaminiert. | |
Ein österreichisches Fernsehteam ist auch dabei, sie fragen, »ob | |
Klimaschutzmaßnahmen mit Wohlstand vereinbar seien«. Neben mir räumt ein | |
einsamer Bagger eine vollständig zerfetzte Industrieanlage auf. | |
Lange hatte man gehofft, dass genug Klimakatastrophen die Politik schon zum | |
Handeln bringen würden, der Katastrophensommer 2023 bricht mit dieser | |
Vorstellung, nirgends ist angemessenes politisches Handeln in Sicht. | |
## Stillstand und Unzufriedenheit | |
Katastrophen bringen uns nicht weiter, aber Klimaschutz im Kleinen, | |
gekoppelt an Lebensqualität, das gewinnt die Menschen – oder? Ich denke an | |
die Kolumbusstraße im Münchner Süden, wo für ein »Sommerprojekt« zwei | |
Straßen provisorisch für den Autoverkehr gesperrt und stattdessen Rasen und | |
Sandkästen aufgebaut wurden. Es passiert, was passieren muss: | |
»Parkplatzklau« wird zum Stichwort, in einer Münchner Boulevardzeitung | |
kommentiert eine Anwohnerin den Zustand im Viertel mit den sinnlichen | |
Worten: »Und jetzt herrscht Krieg. Die Stimmung ist ganz, ganz beschissen.« | |
Es treibt in den Wahnsinn, ich denke an das wahrlich beschissene Aufräumen | |
in Slowenien, da hatten die Menschen vor Ort bemerkenswert gute Laune. | |
Statt Kampf gegen die Klimakrise bringt das Jahr 2023 bisher vor allem | |
eins: Kampf um Kultur. Jede Fahrradstraße, jede Wärmepumpe, jedes Windrad | |
wird zum Angriff auf die Republik, jeder Meter Autobahn zur Festung | |
bürgerlicher Freiheitsfundamente. | |
All das führt zu exakt zwei Dingen, auf die man sich noch einigen kann: zum | |
weitgehenden klimapolitischen Stillstand und zu einer umfassenden | |
Unzufriedenheit mit dem Stillstand. | |
## Eine gemeinsame Vorstellung von einem guten Leben | |
Im Zug auf dem Rückweg aus Slowenien schreibe ich Nikolaj. Sein ganzer Name | |
ist Nikolaj Schultz, er ist ein dänischer Soziologe und hat an der Science | |
Po in Paris bei Bruno Latour studiert. Wir sind befreundet, alle paar | |
Monate treffen wir uns in Berlin oder Paris und trinken Bier. Vor ein paar | |
Jahren hat er zusammen mit dem nun verstorbenen Soziologen Latour ein | |
Memorandum Zur Entstehung der ökologischen Klasse veröffentlicht, jetzt | |
erschien sein autobiographisches Werk Landkrankheit. | |
»First of all: don’t be surprised«, sagt er. In einem Vortrag erklärte er | |
kürzlich: »Der Einsatz für den Erhalt der Lebensgrundlagen ist keine | |
Friedensverhandlung. Es ist eine Kampfansage.« | |
Was in diesem Jahr deutlich wird: Die Ökologischen sind in ebendiesen Kampf | |
gezogen, ohne sich ausreichend Gedanken darüber zu machen, wer hier gegen | |
wen steht. Die Konsequenz: Man verstrickt sich in wirren Mikrodebatten, | |
lässt sich von rechtem Populismus aus dem Konzept bringen und erweckt den | |
Eindruck, die Ökologischen seien zunächst einmal gegen alles. | |
»Es braucht ein wohldefiniertes ›Wir‹ und ein ebenso wohldefiniertes ›Die | |
Anderen‹«,sagt Nikolaj. Es ginge schließlich gar nicht darum, dass »alle« | |
auf einer Seite ankommen würden, sondern dass im Sinne des italienischen | |
Soziologen Gramsci eine »Hegemonie« erstritten wird. Dieses »Wir« könne | |
aber nicht erwachsen, wenn in der »ökologischen Klasse« – wie er und Latour | |
sie bezeichnen – keine anziehende und vereinende Kultur entsteht. Es | |
brauche auch eine gemeinsame Vorstellung von einem guten Leben: »Die | |
kulturelle Sphäre ist im Kampf um den Erhalt der Bewohnbarkeitsbedingungen | |
ebenso wichtig wie die Politik!«Ich denke: Leichter gesagt als getan. | |
Wobei, so gesehen, könnte man meinen, die Entwicklung eines anziehenden | |
Lebensgefühls war 2019 hauptverantwortlich für den Erfolg von Fridays for | |
Future. Vordergründig hatte Greta genau das gemacht, wovon Nikolaj meint, | |
dass es alleine nicht reicht, nämlich geradlinig auf objektive Interessen | |
(Erhalt von Lebensgrundlagen) und die Wissenschaft verwiesen. Dahinter aber | |
steckte etwas viel Mächtigeres: ein emanzipiertes und kämpferisches | |
Weltverständnis, eine gelebte Sehnsucht, aus zerstörerischen Pfaden | |
auszubrechen, nicht still und heimlich, sondern laut und kollektiv. Das war | |
nicht geplant, viel eher eine zufällige Nebenwirkung. Vielleicht konnte es | |
genau deshalb aufgehen. | |
## Haben wir Zeit für die Entwicklung einer ökologischen Kultur? | |
Fünf Jahre nach dem ersten Schulstreik in Schweden verändert sich jetzt | |
aber die Tonlage, die Katastrophen werden immer gewaltiger und man kann | |
live zusehen, wie das Anziehende und Schöne in der Klimabewegung in Teilen | |
dem Verhärteten und Verzweifelten weicht. Haben wir Zeit für die | |
Entwicklung einer ökologischen Kultur? | |
»Ihr müsst euch die Zeit nehmen, gerade weil ihr keine Zeit habt«, sagt | |
Nikolaj dazu. Er gibt ein Beispiel: In Talkshows erlebt man immer wieder | |
Runden, wo weder Sozialdemokrat noch Konservativer oder Liberaler ein | |
echtes Verständnis der ökologischen Lage, geschweige denn adäquate Auswege | |
mitbringen würden, sie sich aber durchsetzen, weil sie im Gegensatz zum | |
Aktivsten in der Runde ein ideologisches Angebot machen, im besten Sinne. | |
Der Aktivist in der Runde hingegen schreckt ab. »Die Rhetorik der Ökologie | |
ist zu einem langweiligen Cocktail von ›sollen‹ und ›müssten‹geworden.… | |
Was heißt das für München-Süd? Das Problem ist nicht der Konflikt als | |
solcher. Es ist vielmehr, dass es der politischen Ökologie nicht gelungen | |
ist, diese Konflikte zu identifizieren und sich selbstbewusst zu behaupten | |
– und dass es ihr nicht gelungen ist, die Konflikte zu einer einheitlichen | |
Erzählung zu verbinden, die die Menschen für politisches Handeln | |
mobilisieren kann. | |
Hier verschränken sich im nächsten Schritt ökologische und demokratische | |
Existenzfragen. Rechtspopulistische Kräfte nutzen ihre antiökologische | |
Agenda schon heute, um demokratische Klimapolitik anzugreifen. Schafft es | |
die ökologische Klasse nicht, dem ein attraktives Gegenangebot | |
entgegenzustellen, wird vermutlich alsbald erklärt, wahre Demokraten machen | |
keinen Klimaschutz, um bloß die Rechten nicht weiter aufzustacheln. | |
Dahinter steckt auch eine gute Nachricht. Es ist nicht stumpf einem | |
Versagen des ökologischen Diskurses anzulasten, dass wir in einem | |
Kulturkampf gelandet sind, denn es geht in diesen Tagen schlicht auch um | |
die Verhandlung einer Kultur. Das allerdings wollten gerade die Pragmatiker | |
unter den Ökos bisher nicht wirklich zugeben. Man dachte, die Wirklichkeit | |
würde schon für sich sprechen – Erneuerbare rentieren sich heute, Windräder | |
werden effizienter und E-Autos beliebter. Im Lichte wachsender | |
klimapolitischer Hysterie reicht das offensichtlich nicht. | |
## Die fossile Kultur wird zwar verteidigt, aber immer weniger gelebt | |
Was der ökologischen Klasse in die Hände spielt: Auch das »Wir« der | |
Fossilität ist fragiler, als ihnen recht ist, ihre kulturellen Ideen zeigen | |
im Rhythmus von Hubert Aiwangers »Esst Fleisch«-Gebrülle regelmäßig, wie | |
gestrig und unoriginell sie im Kern sind. Und schon jetzt wird deutlich, | |
dass diese fossile Kultur zwar verteidigt, aber immer weniger gelebt wird. | |
Auch in Christian Lindners Eigenheim ist mittlerweile eine Wärmepumpe | |
eingezogen. | |
Wie Kultur und Klima zusammenkommen können, sehen wir in Ansätzen schon | |
überall. Bisher allerdings noch zu oft als »Wohltat« an die Klimabewegung, | |
statt als eigenständige Entwicklung in unserem planetaren Ringen. Das kann | |
sich jederzeit ändern. Es würde bedeuten, dass nicht länger »die Straße« | |
der einzig prominente Austragungsort der ökologischen Frage bleibt, sondern | |
sich Theater und Kinos, Clubs und Opern, Fußballplätze und Gemeindezentren | |
anschließen. | |
Es sind große Fragen: Wo werden die Konfliktlinien in diesen Kulturkampf | |
gesteckt – und von wem? Streiten wir endlos weiter entlang einzelner | |
Quadratmeter an Asphalt oder irgendwann entlang echter Visionen einer | |
freien Gesellschaft? | |
Politische Forderungen kann man sauber ausdiskutieren, sie brauchen keine | |
Gefühle, sie brauchen nur Argumente. Eine gelebte ökologische Kultur lässt | |
sich nicht im Plenum beschließen, sie wächst unsortiert und ganz ohne | |
Struktur-AG – kurz, sie mutet einer Klimabewegung etwas zu. Ja, die | |
Ökologie vereint uns nicht kategorisch. Das kann man als Befreiung | |
verstehen, ich zumindest tue das. Und doch ist es womöglich das große | |
Potenzial der politischen Ökologie. Warum? Ganz einfach: Harmonie macht | |
müde, strategisch gewählte Konflikte hingegen mobilisieren im Zweifel | |
ungeahnte Kräfte. | |
In Slowenien hat meine Freundin Nika vor drei Jahren ein historisches | |
Referendum für den Schutz des Wassers gewonnen, entgegen den Plänen der | |
autoritären Regierung. Damit alle zum Rathaus kommen und abstimmen können, | |
haben unter anderem Taxifahrer kostenlose Fahrten angeboten. Sie lacht, als | |
sie erklärt, wie sie das alles bewerkstelligt haben: »We fight, we dance, | |
we fight, we dance.« | |
LUISA NEUBAUER ist Klimaaktivistin, Geografin und Autorin, ihr aktuelles | |
Buch Gegen die Ohnmacht (Tropen 2022) schrieb sie gemeinsam mit ihrer | |
Großmutter. | |
Dieser Beitrag ist im September 2023 im Magazin [2][taz FUTURZWEI N°26] | |
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15 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Luisa Neubauer | |
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