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# taz.de -- Was macht die Kunst im Wald?
> Es geht auch ohne Beton-Umgebung: Der niedersächsische Springhornhof ist
> ein vielfältiger Kunstraum fern der Großstadt
Aus Neuenkirchen Hajo Schiff
Zur Wolkenformation am Abendhimmel sagen beeindruckt die, die gerade aus
der Stadt kommen: „Schön“. „Es wird regnen“, antwortet kritisch der Ma…
vom Bauernhof. Und die rundgepressten großen Strohballen auf der Wiese im
Hintergrund sehen unter der Schutzfolie wie seltsam platzierte Kunstwerke
aus. Es ist eben der Kontext, der aus Agrarflächen eine ästhetisch zu
rezipierende Landschaft formt.
Doch wenn da Bäume verkehrt herum mit den Wurzeln nach oben stehen, mitten
im Wald geschwungen gepflasterte Wege ohne erkennbaren Zweck ins Nichts
führen und ein Stück Himmel blendend auf die Lichtung gefallen scheint,
schleicht sich in das gewohnte Vorstellungsbild einige Irritation darüber
ein, was im ländlichen Raum so alles möglich ist. Und diese Beispiele sind
keine Tagträumereien, sondern reale Erlebnisse in der südlichen Lüneburger
Heide: Rund um den [1][Springhornhof in Neuenkirchen] sind von fast 100
Arbeiten eines der ältesten und wichtigsten Landschaftskunstprojekte
Europas noch über 40 erhalten.
Weder ein historischer Schlosspark noch ein weitläufiges, aber
eingezäuntes museales Areal mit Skulpturen ist zu entdecken – das Besondere
im Heidekreis nahe dem niedersächsischen Soltau ist, dass die Kunst dort
eine ganze Region erobert hat. Der Rundweg dazwischen hat eine Länge von
über 35 Kilometern.
Das Projekt begann 1966: Wilhelm und Ruth Falazik gaben ihre Galerie in
Bochum auf [2][und zogen nach Neuenkirchen]. Damals wurde Kunst weitgehend
als autonomes Objekt oder bestenfalls im stadträumlichen Zusammenhang
gedacht – 1973 prägt [3][Volker Plagemann in Bremen den Begriff „Kunst im
öffentlichen Raum“]. Parallel zu der Entwicklung der aufwendigen Land Art
in den Wüsten der USA begann das Galeristenpaar Projekte in den Wäldern und
auf den Wiesen um das Dorf zu initiieren.
In Symposien konnten Künstlerinnen und Künstler ihre Beziehung zur
Landschaft ausformen, bauten mit Materialien aus der Natur oder
pointierten Skulpturen auch gegen die spezifische Situation vor Ort.
Wichtig war immer, nicht einfach fertige Objekte in die Landschaft zu
stellen. Das wäre sowieso schwierig. Der idyllische Waldrand gehört
jemandem, vielleicht sogar zweien, und wenn es schlimm kommt, streiten die
seit Jahrzehnten über die genaue Abgrenzung.
So gab es von Anfang an den sozialen Aspekt: Alle künstlerischen
Interventionen sind ohne Hilfe und Verständnis derer, denen die Ländereien
gehören, sowie der politischen Gremien der Ortschaften, von Stammtisch,
Feuerwehr und Forstverwaltung nicht möglich.
Auf Dauer war der notwendige Aufwand von einer privaten Galerie nicht zu
leisten: Der Springhornhof wurde 1982 ein Kunstverein. Nach dem Tod der
Gründerin Ruth Falazik im Jahr 1998 gelang es, mit einer Stiftung das
Projekt „Kunst – Landschaft“ langfristig zu sichern. Es ist Mitglied im
[4][European Landart Network] und so anerkannt, dass es sich auch Ironie
leisten kann: Im Nachbarflecken Tewel hat das skandinavische Künstlerpaar
Elmgreen & Dragset einen „Park für unerwünschte Skulpturen“ eingerichtet,
eine Art Gnadenhof für anderswo abgeräumte Kunst.
Heute präsentiert sich der Springhornhof unter Direktorin Bettina von
Dziembowski auch als Ausstellungshaus aktueller Kunst mit Räumen in den
ehemaligen Stallungen, mit Bibliothek und einem Shop in der Diele, der ein
eigenes Projekt der [5][KünstlerInnengruppe Myvillages] ist: Als
„Internationaler Dorfladen“ bietet er eigens gefertigte Produkte aus
europäischen Regionen von Russland bis Spanien. Auf dem Heuboden finden
Künstlergespräche, Kinderprogramme und Workshops statt. Im Obstgarten zeigt
der ortsansässige Bildhauer Hawoli seine Skulpturen. Der ehemalige
Hühnerstall ist ein Gastatelier und im historischen Treppenspeicher
befindet sich das fiktive „Institut für Paläolithische Archäologie“ des
amerikanischen Künstlers Mark Dion.
Gespiegelte Momente und redende Steine, Worte als Wegmarken und
verblüffende Brücken, zu Objekten versteinerte Gedankenskizzen und
verwunschene Gerätschaften begleiten den Jahreslauf der Landschaft. Immer
öfter geht es dabei auch um strukturelle Problematiken des ländlichen
Lebensraumes oder machtpolitische Aspekte der Lebensmittelökonomie. So
liefert diese Kunst in der Heide poetische Momente und bewirkt trotz aller
scheinbaren Idylle auch eine Angleichung von Stadt und Land.
Kunstverein & Stiftung Springhornhof, Tiefe Straße 4, 29643 Neuenkirchen
30 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.dasneuenkirchen.de/de/freizeit-und-tourismus/kunstverein-stiftu…
[2] /!5908302/
[3] https://d-nb.info/891463976/04
[4] http://www.landart-network.eu/
[5] https://www.myvillages.org/
## AUTOREN
Hajo Schiff
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