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# taz.de -- berliner szenen: Nichts wie weg vom Unglück
Ein indischer Imbiss im Einkaufszentrum. Noch vor einer Stunde haben sich
hier Kunden um die wenigen Stehtische gestritten, jetzt, am frühen
Nachmittag, ist alles verwaist. Ein Mann nähert sich mit federndem Schritt.
Was er essen will, hat er schon entschieden. „Wie immer“, begrüßt er
lachend die Imbissbesitzerin. Sie wundert sich, dass er so lange nicht hier
war, und er bedauert, dass er in der letzter Zeit immer Spätschicht hatte.
Aber in dieser Woche sieht es gut aus, er will jeden einzelnen Tag nach dem
Frühdienst hier essen, flirtet er.
„Bist du eigentlich verheiratet?“ Sie nimmt die direkte Anmache nicht übel.
„Ja, schon sehr lange.“ Kein Problem für den Mann, er wechselt umstandslos
das Thema. Ob sie von dem schrecklichen Unfall neulich gehört hat? Er
erzählt von einer Schülerin, die nach der Abifeier vom Hoteldach gestürzt
und gestorben ist. Die Frau guckt entsetzt, ihre Züge entspannen sich auch
nicht, als sie hört, dass ein Freund des Mädchens den Sturz überlebt hat.
„Mein Sohn ist auch bei einem Unfall gestorben. Er war 15.“ Der Kunde
reagiert, als hätte die Frau nichts gesagt und präsentiert weitere Details
des Hotel-Unfalls. Hat er sie nicht verstanden? Weiß er nicht, was er sagen
soll? Auch sie nennt jetzt Details. Ihr Sohn und seine Freunde waren damals
mit Mopeds unterwegs. Alle Jugendlichen aus dem Dorf hätten früh fahren
gelernt, wie schon ihre Väter, manche mit eigenen, manche mit geliehenen
Mopeds. Aber nur ihr Kind sei von einem Auto erfasst worden. Der Kunde
schweigt jetzt, bis die Frau fragt, mit welcher Sauce er sein Gericht essen
möchte.
Schnell nimmt er Teller und Besteck entgegen und verzieht sich an den
Tisch, der am weitesten vom Tresen entfernt steht. Sie ruft ihm „Guten
Appetit“ hinterher und lächelt dabei so freundlich wie bei der Begrüßung.
Claudia Ingenhoven
13 Sep 2023
## AUTOREN
Claudia Ingenhoven
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