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# taz.de -- das wird: „Wichtig für die Freiheit ist, wie wir Zeit erleben“
> Frei ist nur, wer einen Ort hat, an dem man bleiben kann: Die Philosophin
> Eva von Redecker stellt in Hamburg ihr Buch „Bleibefreiheit“ vor
Interview Paul Weinheimer
taz: Frau von Redecker, wo würden Sie gern bleiben, um frei zu sein?
Eva von Redecker: Auf dem Planeten Erde, und zwar in einer möglichst
gewahrten Biodiversität in maximal solidarischen Beziehungen mit anderen
Menschen.
Sie sprechen von „Bleibefreiheit“. Ist nicht die Bewegungsfreiheit
essenziell für den Freiheitsbegriff? Also gehen zu können, wann immer man
möchte?
Ja, aber mir scheint das eine gefährliche Verkürzung. Allerdings heißt das
Buch ja nicht „Bleiben!“, sondern „Bleibefreiheit“. Insofern würde ich
immer sagen, vom freien Bleiben kann nur die Rede sein, wenn die
Möglichkeit zum Gehen besteht. Die Bleibefreiheit ist aber das
voraussetzungsreichere und größere Versprechen: Ein Ort, an dem wir bleiben
können, ist eine Garantie für ein Leben. Anders als bei der
Bewegungsfreiheit.
Ist das nicht eine privilegierte Perspektive? Was ist mit den Menschen, die
nicht bleiben können?
Der Begriff greift eben jene Privilegien an. Ich sage gerade nicht, dass
bereits für alle Menschen „Bleibefreiheit“ bestünde. Wer fliehen muss, hat
nicht die Freiheit zu bleiben. Außerdem wäre es falsch, Flucht als
Bewegungsfreiheit zu beschreiben. Vielmehr steht dahinter die Suche nach
einem Ort, an dem man bleiben kann. Bei der Bewegungsfreiheit muss es sich
immer um eine Wahl und nicht um einen Zwang handeln. Sinnvoller ist es
deswegen, Fluchtursachen solidarisch zu bekämpfen, um allen Menschen eine
„Bleibefreiheit“ zu ermöglichen.
Freiheit wird häufig räumlich gedacht. Sie konzentrieren sich auf die
zeitliche Dimension. Welchen Vorteil hat das?
Das entspricht einem realistischeren Bild unserer Lebensbedingungen.
Menschliches Leben, ebenso unsere Handlungsfähigkeit, erstreckt sich
zeitlich. Außerdem geht es darum, die Unendlichkeitssehnsucht, die dem
Freiheitsbegriff zu Recht innewohnt, richtig unterzubringen. Nämlich nicht
als eine Unendlichkeit, möglichst weit weg zu können oder möglichst viel
anzuhäufen, sondern eine möglichst erfüllte Zeit zu haben.
Zeit und Zukunft sind in diesem Zusammenhang schwer greifbar. Ist das ein
Problem?
Das kann auch von Vorteil sein. Schließlich muss der Freiheitsbegriff
abstrakt genug sein, dass darin viele unterschiedliche Verwirklichungen
Platz finden. Außerdem glaube ich nicht, dass man Freiheit rein negativ,
zum Beispiel über die Abwesenheit von Zwang beschreiben kann. Wichtig ist
vor allem, wie wir Zeit erleben. In meinem Buch habe ich über eine solche
Phänomenologie der Freiheit, also eine Gestaltbestimmung des Zeiterlebens,
nachgedacht.
Inwiefern?
Für mich gibt es drei verschiedene Gestalten von Zeit, die wichtig sind,
damit Leben zu Freiheit wird: ein Bewusstsein für die Endlichkeit;
Initiative, also die Möglichkeit, etwas anzufangen; und die
Regenerationsmöglichkeit, also eine kreisförmige Zeitform. Alle drei Formen
halten die Zukunft offen und verengen sie nicht. Vielmehr sorgen sie dafür,
dass es eine Zukunft gibt.
Was passiert, wenn sich Zukunft verengt?
Dafür muss man nur daran denken, was es bedeutet, wenn Regionen nicht mehr
bewohnbar oder bestellbar sind. Das verschließt viele
Handlungsmöglichkeiten. Deswegen ist es erstaunlich, dass schon bei
Minimal-Anpassungen wie einem Tempolimit die Freiheitsreflexe anspringen,
während man zugleich die Bedrohung der Welt hinnimmt. Das liegt an einem
verkürzten Freiheitsverständnis. Unsere Welt zu verlieren, ist ein viel
größerer Verzicht.
13 Sep 2023
## AUTOREN
Paul Weinheimer
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