# taz.de -- das wird: „Fetischisierte Identität ist tot“ | |
> Der Philosoph Omri Boehm erklärt im Jüdischen Salon in Hamburg, warum wir | |
> einen Universalismus jenseits von Identität brauchen | |
Interview Jonas Frankenreiter | |
taz: Herr Boehm, warum reicht es nicht, sich auf Identitäten zu beziehen, | |
wenn wir Ungerechtigkeiten kritisieren wollen? Warum brauchen wir einen | |
„radikalen Universalismus“? | |
Omri Boehm: Zunächst muss man zwischen Identität und Identitätspolitik | |
unterscheiden. Identitätspolitik erhebt die Identität zur Hauptkategorie. | |
Aber die einzige Möglichkeit, Identität zu verteidigen, ist der | |
Universalismus: Man kann Identität nur als Identität des Menschen | |
verteidigen. Wenn man aus der Würde des Menschen die Würde einer Identität | |
macht, dann überträgt, fetischisiert und tötet man in der Regel die | |
Identität. Ich weiß das als Jude. Die jüdische Identität ist mir wichtig, | |
aber wenn sie fetischisiert wird, dann wird sie tot, kitschig leer und | |
reaktionär. | |
Wie hält man Identität lebendig? | |
Wenn sie offen bleibt, ist die Identität einer der wichtigsten Träger des | |
menschlichen Ausdrucks und der Freiheit – nur dass die Betonung immer auf | |
dem Menschen liegen muss, auf der Kunst und der Philosophie. Identitäten | |
neigen dazu, sich gegenseitig aufzuheben. Wenn Identität zu einem absoluten | |
Wert wird – sei es die Identität des Körpers oder der Kultur – wird sie | |
geschlossen und gefährlich. | |
Sie beziehen sich in Ihrem Buch auf den Aufklärer Immanuel Kant und seine | |
Unterscheidung von Wert und Würde. Wie hängen Wert und Menschenwürde | |
zusammen? | |
Ich glaube an die Kraft der Idee der Humanität, dass alle Menschen eine | |
Würde haben. Für Kant kann alles, was Wert hat, gekauft und verkauft | |
werden. Alles, was Würde hat, hat aber einen bestimmten Wert, der nicht | |
ersetzt werden kann. Der Universalismus, den ich aufrechterhalten möchte, | |
ist ein starkes Bekenntnis zum Universalismus als Verfassungsprinzip. | |
Ist der Universalismus dann ein westliches Konzept? | |
Ich arbeite innerhalb dessen, was man den westlichen Kanon nennt. Das heißt | |
aber nicht, dass es nicht auch anderswo analoge Argumente gegeben hätte. | |
Eine wichtige Rolle spielt die Bindung Isaaks … | |
… eine Erzählung der Tora, nach der Gott Abraham befiehlt, seinen Sohn | |
Isaak zu opfern. | |
Die Frage ist, welche Gesetze Autorität beanspruchen können und warum? Man | |
erkennt schnell, dass nur ein Gesetz, das man sich selbst gibt, Autorität | |
hat. Die Autorität als ungerechter Befehl, der von einer höchsten Macht wie | |
Gott gegeben wird, destilliert die Frage des Universalismus. Ob dieser | |
Text, der von Juden geschrieben wurde, aber Teil einer westlichen Tradition | |
ist, da bin ich mir nicht sicher. Gleiches gilt für den jüdischen | |
Philosophen Maimonides … | |
… der im 12. Jahrhundert in Ägypten und im einst muslimischen Teil der | |
iberischen Halbinsel wirkte. | |
Trotzdem ist es wichtig zu betonen, dass es eine Tendenz gibt, etwas als | |
universalistisch zu bezeichnen und es in einer Weise zu verwenden, die die | |
Vorherrschaft des Westens bestätigt; einige Anwendungen des Begriffs der | |
Menschenrechte können in diese Richtung gehen, ebenso bestimmte Formen des | |
Liberalismus, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. | |
12 Sep 2023 | |
## AUTOREN | |
Jonas Frankenreiter | |
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