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# taz.de -- berliner szenen: Selbst im Kopf ist es leise
Der Nachmittag geht zu Ende. Den ganzen Tag über war ich in der Wohnung und
hatte aufgeräumt, nun will ich raus. Ich packe zehn Ausgaben einer
Literaturzeitschrift aus den 1960er Jahren, die ich nach dem Ausräumen der
Wohnung von Gabis Vater vor vielen Jahren mitgenommen hatte, in eine
Jutetasche von Netto, ein paar Bücher in den Rucksack und gehe damit
Richtung Südstern, denn dort steht ein „Lesekiosk“ und wartet auf
Lesestoff.
Eben hatte der Berufsverkehr noch gelärmt, nun ist es ganz still. Es ist
schön, am frühen Abend spazieren zu gehen. Selbst in meinem Kopf
unterhalten sich die Gedanken nur leise miteinander. Schon bin ich am
Südstern: Da hinten, in der Lilienthalstraße, hatten M. und G. lange
gewohnt, draußen bei dem Späti Cennet, Ecke Blücherstraße, hatten M. und
ich vor sieben Jahren gesessen – ich hatte zwei, er sechs Bier getrunken,
seit ein paar Tagen ist er endlich begraben.
Das tiny Bücherhaus ist aus Holz und sieht aus wie eine Telefonzelle mit
zwei Eingängen. Eine kleine Bank gibt es auch. Eine Frau vor mir schaut
sich die Bücher an der Vorder- bzw. Hinterseite an. Dann bin ich dran und
stelle meine Sachen ganz sorgfältig ins Regal. Die alten
Literaturzeitschriften glänzen noch wie neu. Ich trete zurück und
beobachte, wie andere Literaturinteressierte die Sachen schnell
durchschauen. So ist es doch viel besser, als wenn ich sie in einen
Zu-verschenken-Karton getan hätte.
Das Licht in der blauen Stunde stimmt melancholisch. Die Jutetasche ist
leer, leichter gehe ich zurück. In Umut’s Späti, nun in der Schleiermacher,
kaufe ich TEREA für IQOS ILUMA – mit immer längeren Produktbezeichnungen
versucht man, sich sein Rauchen schön zu reden. Zum ersten Mal seit vielen
Jahren sehe ich den Mehringplatz am frühen Abend. Alles sieht superschön
aus. Detlef Kuhlbrodt
6 Sep 2023
## AUTOREN
Detlef Kuhlbrodt
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