# taz.de -- Katrin Seddig zu verschenken: In Villengegenden haben die Menschen … | |
Ich habe ein Stipendium in einer Villa und übe das komfortable Leben. Eine, | |
die hier auch mal wohnte, rät mir: Geh auf den Golfplatz, Reiche gucken! | |
Ich bin an allen Arten von Menschen interessiert, also mach ich das. Was | |
hat das mit meiner Kolumne: „Zu verschenken“ zu tun? Wir werden sehen. | |
Erst einmal denke ich über den Platz nach, den die Reichen haben, sie haben | |
einfach richtig viel Platz. Auf dem Golfplatz ist natürlich noch mehr | |
Platz, es herrscht eine herrliche Ruhe und man kann sich wunderbar | |
entspannen. | |
Reich sind die Reichen natürlich nur im Verhältnis und eigentlich auch | |
nicht, wahrscheinlich denken sie das. Reich bin sogar ich, im Verhältnis. | |
Ich lebe nicht auf der Straße, sondern zu zweit auf achtundfünfzig | |
Quadratmetern, eine Zeitlang sogar zu viert. Die Nachbarn sind sehr | |
präsent. Sie lachen, weinen, telefonieren, hören Musik, sie streiten. Vom | |
Hof her hört man sie, von der Straße, sie parken vor meinem | |
Schlafzimmerfenster, mitten in der Nacht, während dabei ihre Musik spielt. | |
Das ist mein Leben. Es ist nicht schlecht, manchmal ist es nur sehr viel | |
davon, sehr viel fremdes Leben, das in meines hinein bricht. | |
Hier draußen, wo ich jetzt bin, ist es anders. Die Leute haben sehr viel | |
Abstand voneinander, und wenn sie Sport treiben wollen, dann gehen sie auf | |
den Tennis- oder den Golfplatz. Zusätzlich zu dem eigenen Platz, den sie | |
bei sich zu Hause haben, können sie auch noch diese Plätze nutzen, die so | |
weiträumig sind, und die ihnen zustehen, weil sie sie sich leisten können. | |
Wer reich ist, kann sich zurückziehen, kann für sich sein, kann sich | |
streiten, ohne, dass es einer hört. Wenn ich mich mit meinem Partner | |
streite, wissen das alle Nachbarn. Wir sind sehr präsent, alle miteinander, | |
wir sind nicht sehr privat. Unsere Wohnungen sind so groß wie ein einzelnes | |
Zimmer eines Reichen. Unsere Leben überlappen einander und manchmal macht | |
uns das aggressiv. Dann gibt es Geschrei. Manchmal kommt auch die Polizei. | |
Ich war im Golfplatzrestaurant und habe mir die Reichen angeguckt, die sich | |
vielleicht gar nicht reich finden. Ein Paar saß hinter mir und ich | |
belauschte ihr Gespräch. Es war kein richtiges Belauschen, ich hörte nur | |
nicht weg, weil das auch gar nicht möglich war: Der Mann kriegt einen Anruf | |
und da stellt es sich doch heraus, dass irgendeiner zum Fünfzehnten nicht | |
zahlen kann. Das finde ich interessant! | |
Eine Frau in weißen Shorts schlägt ihren Golfball beeindruckend weit, | |
während ein älterer Mann ihr Zeug transportiert. Das ist natürlich | |
praktisch, sonst müsste sie selbst sich um dieses Zeug kümmern, anstatt | |
sich vollkommen unbeschwert dem Spiel hingeben zu können. | |
Ich nehme an, sie hat es verdient, sie kann sich das leisten, weil sie es | |
sich verdient hat. Ich kann mir das nicht leisten, weil ich es mir nicht | |
verdient habe, weil ich nicht hart genug gearbeitet habe und nicht hart | |
genug arbeite, weil auch meine Eltern und deren Eltern nicht hart genug | |
gearbeitet haben. Deshalb empfinde ich auch keinen Sozialneid, sondern | |
gönne dieser Frau diesen Luxus eines älteren Mannes, der ihr Zeug | |
transportiert. | |
Hinter mir entspinnt sich derweil ein Gespräch über Deutschland, in dem ja | |
einfach nichts möglich ist, weil einem Steine in den Weg gelegt werden, und | |
zwar überall. Dann gibt es eine kleinere Auseinandersetzung über den Wein. | |
Das war der Golfplatz. Das Essen war gut. Ich bin beglückt und gehe in | |
meine Villa. Die Kolumne ist erledigt. Zu verschenken ist nun mal im Leben | |
nichts. | |
2 Sep 2023 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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