# taz.de -- berliner szenen: In wirklich guten Händen | |
Es ist ein heißer Tag, und ich will nur etwas Eis kaufen. Als ich den | |
Supermarkt betrete, ist die Kühle der Klimaanlage eine luftige | |
Erleichterung. In der offenen Tür des Kühlregals lupfe ich mir verstohlen | |
mein Kleid und den BH, lasse die Tür einen Moment länger auf als nötig und | |
frage mich, warum ich bei diesen Temperaturen überhaupt einen BH angezogen | |
habe. Die Dinger sollte frau sich zumindest im Sommer abgewöhnen. Ich | |
greife zum Schokoladeneis und überlege, ob ich auch noch Wassereis im | |
festen Zustand nach Hause bekomme. | |
Neben der Kasse liegt eine alte Frau in stabiler Seitenlage, an ihrem | |
Rücken kniet ein junger Mann mit Brille, der beruhigend auf sie einspricht: | |
„Ich habe Ihnen ja noch gar nicht meinen Namen gesagt, nur nach Ihrem | |
gefragt“, sagt er in dem Moment. „Ich heiße Tilo. Und ich studiere | |
Medizin.“ | |
Die alte Frau hat die Augen weit aufgerissen, reagiert aber nicht. | |
„Ihr Puls ist in Ordnung, Sie sind nur etwas blass.“ | |
Die Frau bleibt regungslos. Der junge Medizinstudent hält eine Hand an ihre | |
Stirn, mit der anderen hält er ihre Hand. Es ist eine umsorgende Geste, die | |
mich rührt. Ich lege das Eis auf das Band und bezahle. Die Kassiererin | |
sieht auch zu den beiden herüber. | |
„Gleich kommt der Krankenwagen. Er ist schon unterwegs“, sagt der junge | |
Mann. „Will nicht“, sagt die Frau jetzt mit Mühe und verzerrtem Mund. „D… | |
muss leider sein“, erwidert der junge Mann. „Wir müssen Sie ja wieder auf | |
die Beine bringen.“ Die Frau sagt nichts mehr, aber sie drückt seine Hand, | |
meine ich zu sehen. Ich sehe die Kassiererin besorgt an, sie erwidert | |
meinen Blick. | |
Als ich draußen vor die Tür trete, trifft mich fast der Schlag vor Hitze. | |
Zwei Rettungssanitäter eilen der Tür entgegen. „Links vor der Kasse,“ rufe | |
ich ihnen zu, „aber sie ist in wirklich guten Händen.“ Isobel Markus | |
24 Aug 2023 | |
## AUTOREN | |
Isobel Markus | |
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