# taz.de -- Anna Mayr im Gespräch über ihr Buch: »Geld macht schäbig« | |
> Die Salonlinke Anna Mayr reflektiert in »Geld spielt keine Rolle« ihre | |
> Privilegien. Aber was bringt das? | |
Bild: »Ich bin Journalistin, weil ich nichts anderes kann«: Botschaft auf der… | |
Anna Mayr, 30, hat ein Buch mit dem Titel Geld spielt keine Rolle | |
geschrieben, in dem sie ihren Assimilationsprozess in die | |
bürgerlich-solvente Mittelschicht beschreibt. Mayr wuchs mit zu wenig Geld | |
auf, nun ist sie Zeit-Redakteurin, kauft ein Sofa für 2.000 Euro, trinkt | |
Aperol Spritz für 15 Euro und versucht damit klarzukommen, »Teil dieser | |
Verlogenheit« zu sein, dass sie den Wohlstand ihrer Leistung zu verdanken | |
habe. | |
taz FUTURZWEI: Frau Mayr, was ist das Problem mit Trüffel-Pizza, | |
Eames-Vitra-Stühlen und Bugaboo-Kinderwägen? | |
Anna Mayr: Eames-Vitra-Stühle kenne ich, ehrlich gesagt, noch nicht, aber | |
ich habe natürlich direkt Lust, sie kennenzulernen — ein gesellschaftliches | |
Problem gibt es damit nicht. Aber: Als ich vor ein paar Jahren bei uns | |
durch die Straße gegangen bin und die Wohnungen mit den bodentiefen | |
Fenstern das Licht anhatten, habe ich zu meinem Mann gesagt: »Die haben ja | |
alle die gleichen Lampen und Sofas wie wir.« Die meisten Leute haben, | |
glaube ich, gar keinen Geschmack. Man kauft nicht die Möbel, die man schön | |
findet, sondern die, die zum eigenen Milieu passen. | |
Sind Menschen mit viel Geld Ihnen unsympathisch? | |
Ich würde so nie pauschal über eine Gruppe von Menschen urteilen. Ich kann | |
nur beschreiben, wie sie im gesellschaftlichen Gefüge dastehen. Studien | |
zeigen, dass viel Geld zu unsolidarischem Umgang damit führt. Geld macht | |
schäbig. Menschen mit viel Geld entscheiden sich im Zweifel dafür, darauf | |
zu sitzen, anstatt es abzugeben, und wählen Parteien, die ihnen | |
versprechen, dass sie all ihr Geld behalten dürfen. Natürlich ist das | |
egoistisch, aber das sind wir alle. | |
Sie beschäftigten und bezahlten eine Katzen-Therapeutin für 225 Euro. Ist | |
das okay, weil Sie etwas geleistet haben? | |
Es gibt keine Leistung. Das ist ein Satz, den ich immer gerne sage, aber | |
ich weiß nicht, ob er ganz wahr ist. Wir alle tragen mehr oder weniger | |
Fähigkeiten, Talente, Traumata mit uns herum. Wir sind in verschiedenen | |
Lebensphasen mehr oder weniger resilient. Ich hatte oft genug die | |
Möglichkeit, gesundheitlich, intellektuell, mich so zu verhalten, dass es | |
für mich am Ende ökonomisch profitabel war. Gleichzeitig würde ich mir | |
gerne einreden, dass ich viel geleistet habe. Dann hätte die Welt einen | |
Anflug von Gerechtigkeit. | |
In diesem Gerechtigkeitsverständnis wäre Verdienst an Leistung gekoppelt? | |
Die beiden haben nichts miteinander zu tun. In den meisten Unternehmen in | |
Deutschland steigen die Einkünfte, je älter eine angestellte Person wird. | |
Dabei sind es die am unteren Ende der Nahrungskette, die sich am meisten | |
reinhängen müssen. | |
Was bringt es, als Salonlinke, wie Sie sich selbst mittlerweile bezeichnen, | |
Ihre Privilegien zu reflektieren? | |
Gar nichts. Das hat meistens keine Folgen. Wenn ich meine Privilegien | |
hinterfrage, bringt das niemand anderem mehr Privilegien. | |
Wie würde es denn etwas bringen? | |
Wenn politischer Einsatz erfolgt oder wenn man etwas abgibt: Eine Person | |
mit sehr viel Geld und zwanzig Wohnungen, müsste aus der Reflektion den | |
Schluss ziehen, weniger Miete zu verlangen. Aber darauf kommen viele eben | |
nicht. Die sehen, dass sie privilegiert sind, aber wollen trotzdem keine | |
Erbschaftssteuer zahlen. Das beobachte ich viel in linken Milieus. Da | |
überschreiben Mama und Papa lieber nochmal schnell zu Lebzeiten das Haus. | |
Geht gar nicht? | |
Naja, das würde ich auch so machen. | |
Linke mit Geld sind dann nicht mehr links genug, sagen Sie. Ist »links« | |
eine Identität? | |
Ich habe neulich einen Tweet von Margarete Stokowski aus der Botox-Klinik | |
gesehen. Eine Frau warf ihr daraufhin vor, im Luxus zu leben. Stokowski | |
ging aus medizinischen Gründen hin und verteidigte sich damit, dass es | |
ähnlich teuer wie ein Frisörbesuch sei. Und ich habe gedacht: Es ist doch | |
okay, sich Botox leisten zu können. Und es ist Quatsch, dass man nur | |
authentisch von links sprechen kann, wenn man versteckt, was man sich | |
leisten kann. Aber natürlich liegen das theoretische und praktische Abgeben | |
von Privilegien weit auseinander. Und wir wissen: Das Konsumverhalten der | |
oberen Mittelschicht ist nicht auf alle übertragbar, die Ressourcen haben | |
wir in der Klimakrise nicht. | |
Wenn man selbst keine finanzielle Sicherheit hat, sind Krisen eine | |
sofortige existenzielle Bedrohung. Menschen mit viel Geld verstehen diese | |
Lebensrealität oft nicht. Wie kann Begegnung geschaffen werden? | |
In einer postkolonialen Argumentationsstruktur würde man wahrscheinlich | |
sagen, dass das nicht die Aufgabe derjenigen ohne Privilegien ist. Ich sehe | |
das Problem auch gar nicht in der Begegnung, sondern im Wissen. Es müssen | |
nicht alle wahnsinnig gebildet sein, aber in Politik und Journalismus | |
gewinnt derzeit derjenige, der die einfachste Erklärung hat. Das macht | |
vieles kaputt, weil die Welt nicht einfach ist. | |
Benutzen Sie den Begriff »konstruktiver Journalismus«? | |
Nee, bitte nicht. Diese ganze Idee davon, den Journalismus zu | |
revolutionieren – ich denke da immer: Schreibt doch einfach eine gute | |
Geschichte. | |
Aber es bringt doch etwas, wenn man positive Utopien aufzeigt. | |
Will das jemand lesen? Journalismus muss auch ein Geschäftsmodell sein. | |
Konstruktiven Journalismus finde ich meistens wahnsinnig langweilig. | |
Utopien sind doch scheiße, wenn ich weiß, dass sie nie wahr werden. Das | |
stört mich auch am ganzen »konstruktiven« Postwachstumsdiskurs, denn das | |
ist letztlich Doomism. Da heißt es, wir müssen erst das System überwinden. | |
Aber dafür ist keine Zeit, dann bekommen wir die Klimakrise nicht hin. | |
Welches Buch hat Sie zuletzt vorangebracht? | |
Geflochtenes Süßgras von Robin Wall Kimmerer sollte wirklich jeder lesen. | |
Es ist das beste Buch, das ich je gelesen habe. So sollen Sachbücher sein: | |
Man lernt viel und bekommt gleichzeitig eine Geschichte erzählt. Das Buch | |
ändert für immer meinen Blick auf alles, was ich habe. Es ist eigentlich | |
ein viel verkauftes und politisches Buch, aber es wird komischerweise nicht | |
darüber diskutiert. Weil es aussieht, als wäre es für kleine Mädchen. | |
Was lernen Sie beim Schreiben über sich? | |
Beim Schreiben dieses Buches habe ich gemerkt, wie viel Angst ich doch noch | |
vor meinem Publikum habe. Das Buch ist teilweise peinlich, was ja auch die | |
Idee war. Ich habe aber weniger die »Ihr könnt mich mal«-Haltung, als ich | |
gedacht hätte. Ich will immer noch gemocht werden. | |
Interview: [1][PAULINA UNFRIED] | |
20 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
paulina unfried | |
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