# taz.de -- Luisa Neubauer über Klima und Emotion: Klimaschutz ist eine Frage … | |
> Fakten allein bewegen Menschen nicht zum Handeln. Sie brauchen die | |
> Verheißung eines neuen, klimagerechten Lebensgefühls. | |
Bild: Luisa Neubauer, Klimaaktivistin, bei der Digital-Messe OMR | |
Von [1][LUISA NEUBAUER] | |
Meine Großmutter ist eine radikal zuversichtliche Person. Egal wie schnell | |
die Emissionen steigen, wie weitläufig die neuen LNG-Projekte oder wie | |
einschneidend die nächste Elbvertiefung – meine Großmutter lässt sich nicht | |
entmutigen. Es gibt nur einen wunden Punkt, und das ist ihr Bücherregal. | |
Dort in ihrem Wohnzimmer, da stehen sie, die gesammelten Werke des | |
Klimadiskurses der letzten fünfzig Jahre. Von Die Grenzen des Wachstums | |
(1972, Club of Rome) bis Wir können auch anders (2022, Maja Göpel), Problem | |
und Lösung der ökologischen Krisen auf tausenden Seiten. »Man wusste es | |
doch alles«, ruft meine Großmutter dann empört. Die Schlussfolgerung ist | |
beängstigend: Wenn das Wissen über Krise und Krisenbewältigung seit | |
Jahrzehnten zur Verfügung steht und von Menschen in Machtpositionen dennoch | |
brachial ignoriert wurde – was soll sonst zum Einlenken bringen? Wenn sie | |
es bis heute nicht verstehen wollen oder können, worauf hoffen wir noch? | |
Ich verstehe die Frustration meiner Großmutter. Allerdings befürchte ich, | |
dass dahinter eine der größten Fehleinschätzungen der Klimakrise steckt: | |
Aus der wissenschaftlichen Natur des Problems an sich hat man auf | |
wissenschaftliche Erkenntnisse als Lösung gesetzt. Der Fehler war der | |
Versuch, die Klimakrise mit mehr Informationen zu bekämpfen – würden die | |
Menschen nur besser Bescheid wissen, dann würden sie sicherlich im Sinne | |
des Klimaschutzes handeln, wählen und einkaufen. | |
280 Seiten zum Bienensterben, 350 Seiten zur Verletzlichkeit der | |
Ozeanzirkulation, 180 Seiten zu den Potenzialen einer | |
Post-Wachstums-Ökonomie, und doch machen alle weiterwie bisher. Warum? Weil | |
es in der Klimafrage seit Beginn nur nachgelagert um wissenschaftliche | |
Erkenntnisse geht. Ausschlaggebend waren Macht, Emotionen und | |
Zugehörigkeit, von Anfang an. Als US-amerikanische Ölkonzerne in den | |
1970ern die Klimaerhitzung wissenschaftlich beweisen konnten, verstanden | |
sie, dass ihre eigene fossile Macht einbrechen würde, wenn man die Krise | |
wie eine Krise behandeln würde. Und so desinformierten sie. | |
Es gab dadurch praktisch keinen Zeitpunkt in der Erforschung der | |
Klimakrise, in der Daten für sich standen. Von Sekunde null an waren sie | |
Teil von Machtfragen, wurden sie umkämpft, emotional aufgeladen und | |
missbraucht. 1992 erklärte der damalige US-Präsident George W. Bush auf dem | |
Umweltgipfel in Rio: »Die amerikanische Lebensweise ist nicht | |
verhandelbar.« Wissenschaftliche Erkenntnisse, gut und schön. Aber auch | |
hier: nicht halb so wichtig wie das fossile Lebensgefühl, die fossile | |
Zugehörigkeit der US-Amerikaner. Knapp dreißig Jahre später erklärte mir | |
der Springer-Journalist Ulf Poschardt in einer Talkshow, dass E-Autos keine | |
gute Lösung gegen die Klimakrise seien – da sie keine Seele hätten. Das | |
kann man zu Recht peinlich finden, es bleibt leider lehrreich. Was wir über | |
die Klimakrise wissen, ist eine wichtige Frage. Ausschlaggebend ist aber: | |
Was fühlen wir? | |
## Klimaschutz braucht besseres Marketing | |
Umso erstaunlicher, dass Teile der Klimabewegungen bis heute auf | |
wissenschaftliche Erkenntnisse und moralische Überzeugung als Treiber von | |
politischem Wandel setzen. Wissenschaftliche Erkenntnisse legitimieren den | |
Einsatz gegen die Klimakrise, und es bleibt essenziell, Daten und Fakten zu | |
verstehen und in die Breite zu tragen. Für das politische Einlenken | |
hingegen war noch nie ausschlaggebend, wer das bessere Argument hat, auch | |
nicht, wer das moralische Argument hat. Die Frage war schon immer: Wer hat | |
das mächtigere Argument? | |
Solange Olaf Scholz keinen machtpolitischen Vorteil in radikaler | |
Klimapolitik sieht, wird es keine geben. Solange Friedrich Merz Wärmepumpen | |
nicht als technologischen Meilenstein feiern kann, sondern als politische | |
Kränkung verklärt, wird man in ihm keinen Unterstützer finden. Solange man | |
meint, es reicht, dass Medien über Klimaproteste berichten, ohne sich darum | |
zu kümmern, welche Art von Stimmung dort gegen oder für Klimaschutz gemacht | |
wird, solange sägt auch radikaler Aktivismus am eigenen Ast. | |
In die Vermarktung von fossilen Produkten und fossilen Lebensstilen wurden | |
jahrzehntelang Fantastilliarden gesteckt. Mit größter Kreativität wurde ein | |
Verbrenner zur Grundausstattung eines guten Lebens, ein Steak auf dem Grill | |
zum wohlverdientenFeierabend und 220 km/h Sinnbild fortschrittlicher | |
Freiheiten. Das ist alles merkwürdig, aber eben die Ausgangslage, mit der | |
es zu arbeiten gilt. Wo also werden die großen Transformationen zur | |
Verheißung, wo findet die Vermarktung klimagerechter Lebensmodelle statt, | |
wer entzaubert fossile Produktivität? Das heißt auch: Welches Lebensgefühl | |
kann man den Menschen in der Dekarbonisierung anbieten? Wie sorgt man | |
dafür, dass Klimaschutz nicht den Eindruck einer umfassenden Spaßbefreiung | |
vermittelt? Wo entstehen die neuen fossilfreien Zugehörigkeiten? | |
Und – auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden – wer macht sich dafür | |
im Zweifel auch die Finger schmutzig? Bei aller Liebe, aber gegen fossilen | |
Populismus auf allen Kanälen werden wir nicht mit Info-Flyern vom BUND | |
ankommen. | |
LUISA NEUBAUER ist Mitgründerin von Fridays for Future. Zuletzt erschienen, | |
mit Dagmar Reemtsma: Gegen die Ohnmacht. Tropen 2022 – 240 Seiten, 24 Euro | |
13 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Luisa Neubauer | |
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