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# taz.de -- Deutschland: Korridore für Wildtiere
Bild: Grünbrücken werden vor allem von Rothirschen genutzt
Am Anfang ging es nur um ein paar Laufkäfer. Sie sollten aus ihrem von
Straßen eingeengten Habitat befreit werden. Später wurde daraus der Plan,
einen ökologischen Korridor für Wildtiere aller Art in Südbrandenburg zu
errichten und diesen im Laufe der Zeit von Polen über Brandenburg bis nach
Sachsen-Anhalt zu spannen. Und irgendwann vielleicht sogar über ganz
Mitteleuropa.
Nach der Jahrtausendwende gründeten Naturschutzorganisationen und das Land
Brandenburg die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg. Diese kaufte nicht
nur vier ehemalige Truppenübungsplätze in Brandenburg auf, sondern wollte
diese auch untereinander und mit nahen Naturparks vernetzen, um den
Genaustausch und die klimabedingten Wanderungen von Wildtieren zu
unterstützen. „Die meisten Arten können nicht isoliert bestehen, wie auf
einer Insel“, erklärt Anika Niebrügge, Sprecherin und Koordinatorin des
Projekts. „Wenn drum herum Barrieren sind, funktioniert es nicht auf
Dauer.“ Denn wenn sich ihr Lebensraum erwärmt und ihre thermische Schwelle
überschreitet, kann das Überleben der Art gefährdet sein. Ebenso durch
fehlenden Austausch, der zu Inzucht führen kann.
Doch so einfach war die Vernetzung dann doch nicht. Zunächst mussten die
Planer erstmal festlegen, wem sie überhaupt zur Wanderung verhelfen
wollten. Sie entschieden sich für sogenannte Türöffnerarten: Landbewohner
wie die Bechsteinfledermaus, für die Wälder vernetzt und so umgebaut werden
müssen, dass sich genügend Totholz in ihnen befindet. „Davon profitieren
viele andere Arten“, sagt Niebrügge. Und Wasserbewohner wie der Fischotter,
der große, vernetzte Feuchtgebiete braucht. Das wiederum nützt auch
Libellen oder Bibern.
Um die Routen auszuwählen, mussten die Planer sich in die Tiere
hineinversetzen: Welchen Weg würden Rotwild, [1][Wolf] und Fledermaus
nehmen? Förster und Jäger wurden befragt, Umweltbehörden werteten
Jagdunfälle aus und Computermodelle berechneten den Weg des geringsten
Widerstands für die Wildtiere. Daraus entstanden Karten mit potenziellen
Routen sowie den Hindernissen, die es zu überbrücken galt: von Monokulturen
geprägte Wälder und Felder, Siedlungen, vor allem aber Straßen und
Schienen.
Jedes Jahr geraten unzählige Hasen, Rehe, Wildschweine, Igel und Füchse
unter die Räder. Deshalb wurden seit dem Jahr 2007 an drei Orten
Grünbrücken gebaut: Mit Wiese, Sträuchern und Bäumen bewachsene Querungen
über [2][Autobahnen]. Dazu kommen hunderte Forstbrücken, Tunnel und
Unterführungen.
In den monotonen Feldern und Wäldern entstanden Ruhezonen für die Arten,
wie Moore, Mischwälder oder Sträucher an Waldrändern – sogenannte
Trittsteine inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung, über die Tiere von
Schutzgebiet zu Schutzgebiet springen können. Sofern sie mobil genug sind
wie Vögel, Fledermäuse oder Insekten.
Um herauszufinden, ob die Arten all das auch tatsächlich nutzen, startete
die Stiftung ein großes Wildtiermonitoring mit Fotofallen. Die Fotos
belegten, dass die Tiere die Unter- oder Überführungen nutzen, wenn auch
auf höchst unterschiedliche Weise. Da gibt es die Generalisten wie Rehe und
Wölfe, die sich durch fast nichts aufhalten lassen. Da gibt es die
Spezialisten wie den Rothirsch, der Autobahnen nur über bepflanzte
Grünbrücken überquert. Und da gibt es die besonders Ängstlichen wie den
Fischotter. „Eigentlich könnte er ja einfach unter Brücken hindurch
schwimmen“, sagt Niebrügge. „Macht er aber nicht.“ Stattdessen geht er an
Land und schlüpft hinter der Brücke zurück ins Wasser – angenommen, er
schafft es heil über die Straße. Bekam er aber Uferstreifen unter den
Brücken angelegt, etwa aus Steinen, dann tapste er dort entlang.
Vom großen Plan eines mitteleuropäischen Wildtierkorridors will heute in
der Stiftung keiner mehr so recht reden – es fehlt an Geld, und die Flächen
sind knapp. „In Deutschland muss man für jeden Quadratmeter Land, der noch
nicht genutzt wird, argumentieren, warum man ihn der Natur überlassen
will“, sagt Niebrügge. Deshalb kommt die Stiftung nur in Trippelschritten
voran.
Die Tiere kommen trotzdem schon: Wölfe und Elche aus Polen. Zu bundesweiter
Bekanntheit hat es Elch Bert gebracht, der sich bei Beelitz einer Kuhherde
angeschlossen hat. Aus dem Süden wandern wärmeliebende Arten ein wie die
italienische Schönschrecke, die Dornfingerspinne und der Goldschakal. Sogar
die Wildkatze soll sich schon geblickt haben lassen.
17 Jun 2023
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## AUTOREN
Benjamin von Brackel
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