# taz.de -- Neue Wege in die Oper | |
> Das klassische Musiktheater hat Nachwuchssorgen und wagt sich darum an | |
> Experimente | |
Von Andreas Schnell | |
Es ist so eine Sache mit der Oper: Sie ist nach wie vor die Kunstform, die | |
an deutschen Stadt- und Staatstheatern die meisten Menschen in die Häuser | |
lockt. Ein Publikum allerdings, das man mit ein wenig bösem Willen als | |
aussterbende Spezies bezeichnen kann: Eine Untersuchung aus dem Jahr 2015 | |
ermittelte für das Opernpublikum ein Durchschnittsalter von 57 Jahren, ein | |
gutes Drittel davon 65 und älter. Das ist aber noch gar nichts im Vergleich | |
zum Repertoire, das seit Jahrzehnten vor allem aus Klassikern besteht. Die | |
[1][Online-Plattform Operabase] listet unter den meistgespielten Werken | |
nicht eines, das nach 1900 entstanden ist. Selbst ein „Woyzeck“ von Alban | |
Berg, vor einhundert Jahren geschrieben und fraglos ein Klassiker der | |
Moderne, läuft nach Premieren oft vor weitgehend leeren Rängen. Soll die | |
Oper nicht mit ihrem Publikum weitgehend aussterben, muss also etwas | |
geschehen. Wie aber kommt man an ein neues Publikum und neue Musik? | |
Neben diversen Versuchen einzelner Häuser, versucht sich [2][die | |
Förderinitiative NOperas!] seit 2018 an globaleren Lösungen. Pro Saison | |
wollen sie ein Projekt realisieren,das von mehreren Bühnen adaptiert wird. | |
Getragen wird die Initiative von dem Fonds Experimentelles Musiktheater des | |
NRW Kultursekretariats und der Kunststiftung NRW, Kooperationspartner sind | |
unter anderem die Oper Wuppertal und das Theater Bremen. Pech nur, dass | |
wegen besagter Pandemie die Bedingungen nicht gar zu gut waren. Derart | |
eingeschränkt kamen im Rahmen der Initiative immerhin die Werke „Chasmos“ | |
von Konrad Kästner, Tobias Rausch und Marc Sinan, „Kitesh“ von der Gruppe | |
„Hauen und Stechen“ und „Obsessions“, eine Zusammenarbeit des finnischen | |
Performance-Kollektivs Oblivia und derchinesischen Komponistin Yiran Zhao, | |
auf die Bühnen der teilnehmenden Theater. | |
Musikalisch verwischten diese zeitgenössischen Opern die Grenzen | |
sogenannter Neuer Musik und avancierter Elektronik und damit die ohnehin | |
merklich zerbröselnde Barriere zwischen Hochkultur und Pop, während auf der | |
Inszenierungsebene Formen erprobt wurden, die in den Schauspielsparten seit | |
Längerem State of the Art sind: Performative Elemente und Tanz, wie [3][in | |
„Obsessions“], inszenierte Walks und der Aufbruch in den Stadtraum, wie in | |
„Kitesh“ oder „Fundstadt“. | |
## Avantgarde und günstig | |
Ob die es über den Rahmen des Projekts hinaus auf die Spielpläne schaffen, | |
muss sich freilich erweisen. Das Zeug dazu haben diese unterhaltsamen wie | |
formal interessanten Arbeiten durchaus. Zugleich könnten sie auch | |
ökonomisch Wege andeuten, die eingangs skizzierte Problematik zu | |
überwinden. Die Oper, wobei das hier auch für Operette und Musical stehen | |
darf, ist schließlich auch die teuerste Form des Theaters. | |
Der personelle Aufwand, den die Häuser für sie treiben, der Apparat, den | |
sie vorhalten müssen, ist ohne Subventionen nicht zu stemmen. Und wie die | |
Situation sich nach der Pandemie entwickelt, ist nach Auslaufen der | |
Sondersubventionen noch nicht absehbar. Minimalistische Inszenierungen | |
könnten die Etats der Häuser ebenso entlasten wie die verstärkte | |
Zusammenarbeit mit freien Kollektiven – das dannallerdings zulasten der | |
festen Ensembles. | |
Eine Produktion wie [4][„Kitesh“], die sich forsch in den Stadtraum wagt, | |
könnte derweil an Zeiten anknüpfen, als Oper Popkultur war, ein großes, | |
mehrdimensionales Spektakel, bei dem es weniger darum ging, jedes Wort zu | |
verstehen, sondern darum, Geschichten zu erzählen, die an die Lebenswelten | |
des Publikums andockten. | |
17 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.operabase.com/de | |
[2] https://www.noperas.de/ | |
[3] https://www.noperas.de/projekte/oblivia-yiran-zhao-obsessions/ | |
[4] https://www.noperas.de/hauen-und-stechen-kitesh/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
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