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# taz.de -- Ohne Titel ragt in den Assoziationsraum
> In der Kunsthalle Hamburg überschreitet die Ausstellung „Keine
> Illusionen“ mit neuer Malerei munter die Grenze zum Skulpturalen. Wenn es
> die überhaupt noch gibt
Bild: Ganz schön um die Ecke gemalt: Dominik Halmers „Mary“ 2020
Von Hajo Schiff
Dass die Malerei tot sei, wird meist nur behauptet, um es zu widerlegen.
Allerdings ist die Königsdisziplin der Kunst längst nicht mehr auf das Bild
auf Leinwand im hübschen Rahmen beschränkt, ja nicht einmal auf die Wand.
Jahrhundertelang ging es darum, mit Form und Farbe möglichst perfekt die
Illusion von Realität zu schaffen, dann begann die Moderne vom Kubismus bis
zur konkreten Kunst, eben das, die Form und die Farbe als eigene Realität
zu fassen. Und heute ist – wie in vielen anderen Bereichen auch – alles
möglich: Es reicht, die VerursacherInnen möchten es als Malerei verstanden
wissen.
„Keine Illusionen“ ist die aktuelle Ausstellung zum Thema in der Hamburger
Kunsthalle betitelt. Teils Sonderausstellung, teils mit Arbeiten aus dem
Bestand, zeigt sie in neun Beispielen, dass das aktuell dekonstruierte Bild
kein Abbild mehr ist, sondern Dokument eines Prozesses, ja dass es sogar
eine Skulptur oder ein Bühnenbild sein kann.
Farbintensität kann Räume schaffen, auch wenn die meist mit dem
Kammspachtel erstellten Farbfeldmalereien von Rolf Rose noch Tafelbilder
sind, in die ein Eintauchen nur mental möglich ist. Dass eine vibrierend
monochrome Bildfläche dabei keineswegs nur aus einer Farbe aufgeschichtet
ist, zeigen nicht nur ansatzweise die Bildränder, sondern auch die mit
ausgestellte vielfarbige Malbank des Künstlers. Die Kunsthalle sammelt die
ebenso puren wie intensiven Arbeiten des norddeutschen konkreten Malers
schon seit 1982; dieses Jahr konnte er gerade seinen 90. Geburtstag feiern.
Der jüngeren Generation genügt ein sensitiv-mentaler Raum nicht mehr. Real
über Eck montiert die in Berlin lebende Shila Khatami ihre Sonnenaufgang
oder Zielscheibe assoziierenden, mittels gewöhnlicher Farbwalze mit grauen
Kreissegmenten großräumig bemalten Lochplatten. Sie baut sogar einen
multireflektierenden Spiegelraum aus im Baumarkt besorgtem Tränenblech (das
heißt wirklich so). Bei beiden Installationen können die BetrachterInnen
also ganz real ins Bild gehen. Doch bleibt zu fragen, ob dergleichen
selfikompatibles analog-immersives Tun über den überraschenden
Bühnen-moment hinaus einen weiterführenden Erkenntniswert hat.
Nahezu wissenschaftlich geht der Leipziger Ingo Meller mit der Malerei um.
Die Farbexperimente des langjährigen Professors an der dortigen
Kunsthochschule sind streng nur nach den Materialnamen bezeichnete
kombinierte Pinselabstriche auf Standardleinwandstücken. Einzelne davon
werden als eigenständig bildwürdig beurteilt, alle anderen werden zu je 25
in einem System eigens angefertigter Bildboxen gespeichert. Dreißig dieser
Kästen, hier in ihrem Lagerregal präsentiert, geben eine Ahnung von dem so
über Jahrzehnte aufgebauten, wohl einmaligen Archiv von Farbwirkungen.
Die Titel bestimmen die Malerei immer mit. Die Münchner
Multimediakünstlerin Dana Greiner weitet keinen Realraum, sondern einen
Assoziationsraum, indem sie aus dem Bild heraus eine blaue Kordel das Wort
„Querelle“ formen lässt. Und so öffnet der französische Begriff für Str…
neue Perspektiven – es ist auch der Name einer zwielichtig ambivalenten
Figur in einem Roman von Jean Genet. Die aus Österreich stammende Sabrina
Haunsperg hat ihre vierteilige Bilderserie ausdrücklich der politisch
verfolgten belarussischen Musikerin Maria Kalesnikava gewidmet. Hier steht
sie für die Position, dass Malerei und Musik immer auch in abstrakter
Freiheit expressiv Gefühlswerte ausdrücken können.
Die Vielfalt des Ausdrucks sprengt dabei immer öfter den traditionellen
Rahmen. Mit ihren Bildfaltungen arbeitet Franziska Reinbothe an der
Dekonstruktion des Bildträgers selbst. Und da jedes Bild, wenn schon nicht
den Raum definiert, so doch die Wand und seine unmittelbare Nachbarschaft,
sind viele MalerInnen daran interessiert, die Hängefläche mitzugestalten,
sei es durch aus dem Einzelbild ausgreifende Farben, sei es durch direkte
bildnerische Kommentare. Beispiele dafür sind Helga Schmidhubers wie
enzyklopädische Schautafeln wandfüllenden tierischen Bildüberlagerungen und
Cornelia Baltes mit ihren die Interaktion von Linie und Fläche im Bild und
auf der Wand auslotenden starkfarbigen Abstraktionen.
Auch der Berliner Dominik Halmer braucht den ganzen Wandraum als
Interaktionsfläche für seine schon ins Plastische spielenden
Leinwandfigurationen, die in der Zusammenschau mit Fantasie als eine Art
Verkündigungsszene zu deuten sind. Und seine frei im Raum stehenden
Kombinationen von Malerei und Skulptur verwischen den Unterschied von
Abbild und realem Objekt. Sie kommen gar wie skurrile Möbelstücke daher –
und sie setzen manchmal auch wieder auf Illusionistische Elemente.
Farbe im Kontext, Bilder als skulpturale Form und Räume als Bild: Das ganze
Spektrum heutiger Malereiansätze präsentiert „Keine Illusionen“ bis Herbst
in der ersten Etage der Galerie der Gegenwart. Die folgende Ausstellung in
diesen Räumen wird dann zum Winter dem Romantiker Caspar David Friedrich
zum 250. Geburtstag gewidmet sein – über das breit aufgestellte Spektrum
der Hamburger Kunsthalle ist nicht zu klagen.
Keine Illusionen – Malerei im Raum, [1][Hamburger Kunsthalle/Galerie der
Gegenwart], bis 31. 10.
15 Jun 2023
## LINKS
[1] http://www.hamburger-kunsthalle.de
## AUTOREN
Hajo Schiff
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