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# taz.de -- Tellkamp und Sarrazin driften weiter ab
> Die Bestsellerautoren Uwe Tellkamp und Thilo Sarrazin vergleichen bei
> ihrer Lesereise die Grünen mit Faschisten: Das sei die neue Hitlerjugend
Bild: Unmoderiert in den Nazivergleich: Sarrazin und Tellkamp in Fürstenwalde/…
Von Rob Savelberg
In der größten Grünanlage von Fürstenwalde/Spree liegt die schattige
Parkbühne, 1955 in sozialistischer Zeit gebaut. Der Open-Air-Ort ist
allseits beliebt, es gibt dort unter einem Zeltdach neben Konzerten –
demnächst kommen die Rechtsrock-Band Böhse Onkelz sowie die Coverbands
My’tallica und Bounce Bon Jovi – auch Kino, Theater und Tanz für an die
tausend Personen. Unweit liegt ein Gedenkhain für gefallene Offiziere der
Roten Armee.
Nach Feierabend laufen Ehepaare Arm in Arm zur Parkbühne. Am vergangenen
Donnerstag trafen dort auch der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp und
der Berliner Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin aufeinander. An diesem Tag
geht es um Literatur und Politik. Beide lesen aus ihren aktuellen Büchern,
dazwischen kommentieren sie im Gespräch miteinander die Tagespolitik. Vor
der Tür steht ein Polizeiauto.
Tellkamp, in der untergehenden DDR aufgewachsen, sieht die heutige Zeit –
mit Klimawandel, Inflation und Krieg – auch als eine Art Diktatur, das
macht er ziemlich schnell klar. Aus dem Publikum erntet er dafür Applaus,
teils lang anhaltend und frenetisch. Alle, die sich heute für Klimaschutz
stark machen, sind für Tellkamp „unbelehrbar“ und „unkritisch“. Um das…
unterstreichen, kommt er bald zu Nazi-Vergleichen: „Vor 80 Jahren war der
gleiche Menschenschlag beim Bund Deutscher Mädel“, sagt Tellkamp. Dafür
gibt es aus dem Publikum höhnisches Gelächter.
Die Fridays-for-Future-Generation beschreibt Tellkamp als „führungsgläubig�…
und fügt hinzu: „Wie die FDJ.“ Dann holt er den richtig großen Holzhammer
raus: „Viele Grüne wären bei der Hitlerjugend.“ Ungefragt stimmt Sarrazin
zu: „Das ist sicherlich richtig.“
Da die beiden Autoren sich gegenseitig interviewen und abwechselnd lesen,
ist auch kein Moderator anwesend, ihre Vergleiche bleiben unwidersprochen.
Sarrazin greift bald zu seinen von ihm bevorzugten biologistischen
Argumentationsmustern, wenn er etwa behauptet, dass die „intelligentesten
Politiker bei den Grünen“ zu finden seien, aus den Vierteln, wo „Ärzte und
Studienräte“ wohnen, und gipfelt in dem Vergleich: „Im Dritten Reich wurden
die besten Schüler Offiziere. Deshalb war die Wehrmacht so stark.“
Tellkamp, dessen Magnum Epos „Der Turm“ in viele Sprachen übersetzt und
verfilmt wurde, stellt immer wieder die zwei verhängnisvollen deutschen
totalitären Diktaturen auf eine Ebene mit der jetzigen, demokratischen
Regierung. Er meint, dass die ostdeutsche Diktatur anno 2023 zurück sei,
mit dem Habeck’schen Heizungsgesetz und der Wärmepumpe, laut ihm der „Deus
ex machina“. „In der DDR mussten alle für den Frieden sein, sonst wäre man
beim Klassenfeind“, sagt er. Die Grünen sieht er als Hauptgegner, eine Art
„sozialistische Einheitspartei“. Der sächsische Star und
Bachmann-Preisträger Tellkamp sieht sich durchweg als Kämpfer gegen den
„woken Zeitgeist“.
Am Anfang macht der ehemalige Finanzsenator von Berlin, Thilo Sarrazin,
einiges klar: „Ich bin weder Klimaskeptiker, Putin-Versteher, Coronaleugner
noch Impfgegner“, sagt er. Im gleichen Atemzug verweist er darauf, dass
Michael Hauke bald auf der gleichen Bühne auftritt.
Der Corona-Schwurbler Hauke betreibt einen Telegram-Kanal. Dort nennt er
sich Verleger und verlinkt auf „friedensbewegte Montagsspaziergänge“. Er
hetzt gegen die „Mainstream-Medien“, vermeintlich „woke Großstädler“,
„Impfmafia“ und Transgender. Seine kruden Ansichten verbreitet er außerdem
über seine Gratis-Anzeigenblätter, die in Ausgaben für Fürstenwalde,
Beeskow, Erkner, Grünheide, Schöneiche und Woltersdorf herauskommen und
dort verteilt werden.
Sarrazin und Tellkamp kennen sich spätestens seit der Coronazeit. Im Herbst
2021 lasen sie zusammen im Buchhaus Loschwitz an der Elbe, wo neurechte
Denker auftreten. Dort, am Blauen Wunder, entwickelte sich die „Bro-mance“
zwischen den zwei aus ihrer Sicht inzwischen „gecancelten“ Männern. Sie
fühlen sich unverstanden, in die rechte Ecke gestellt.
Das Parkbühne-Publikum in Fürstenwalde feiert das Duo frenetisch. „Wichtig
ist es, auch anderen Meinungen zuzuhören“, hört man ständig. Viele
Besucher, die sich vor der Veranstaltung mit Bier und Bratwurst eindecken,
lesen die Gratiszeitung von Michael Hauke. Ein Ehepaar, zwei Mittfünfziger
aus der Umgebung, raunt: „Im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen
gibt es nur eine Meinung, linksgerichtet und feministisch.“
13 Jun 2023
## AUTOREN
Rob Savelberg
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