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# taz.de -- Johanna Schmeller Südlicht: Münchens Kultur holt sich den Himmel …
Ein Sommer, wie er früher einmal war, das verspricht 2023. Die Münchner
Volksfeste, die Dulten, sind seit Mai ohne Einschränkungen wieder da. Ab
Juni folgen Festivals, Open Airs, Sommerkinos. Gratis dazu gibt es
nächtliche Fahrradfahrten über die Isarbrücken in Richtung Stadtmitte,
jetzt wieder mit Ziel und mit Gegenverkehr. Und der Sommer 2023 bietet mehr
als nur ein „Zurück“ – vor allem, was die Kinos betrifft.
Denn Krisenzeit ist Kinozeit. Das Kino ist immer dann ein
gesellschaftlicher Rettungsanker, wenn Urlaube, Mieten und das Leben
generell zu teuer oder zu kompliziert geworden sind. Ein Kinobesuch bietet
einerseits ein Gemeinschaftserlebnis – und andererseits die Möglichkeit zum
Eskapismus. Nach den Weltkriegen, in den zwanziger Jahren wie in den
fünfziger Jahren, blüht die Filmwirtschaft, lässt sich bei der FFA
nachlesen. Auch in jüngeren Krisenjahren, um 2007 bis 2009, als der
Bankencrash das Geld billig und die Leute unsicher macht, nehmen die
Besucherzahlen laut Studien zu. Wenn Theater, Oper und Urlaube zu teuer
werden, zieht es Kulturinteressierte ins Kino.
Das Branchenproblem der Lichtspielhäuser, ausgelöst durch die
Streamingdienste, besteht zwar fort – aber der Ausblick auf einen Sommer,
der erstens durch überhitzte Temperaturen, zweitens durch kollektive
Sinnsuche nach Pandemie und mit Krieg, drittens durch Inflation und
monströse Mietentwicklungen geprägt ist, lässt Kinobetreiber bei aller
Bitterkeit auch hoffen.
Zu viel haben wir in den letzten Sommern vermisst: Theater, Tanzen, sogar
die Trambahnfahrten Rücken an Rücken mit klatschnassen Eisbachsurfern, die
sich erst flussabwärts treiben lassen und dann für den Rückweg den ÖPNV
nehmen, die Wasserlachen hinterlassen – und ein einmaliges Sommergefühl.
Während die Grenzen geschlossen waren, die Welt so viel kleiner wurde, der
andere vom potenziell interessanten Gegenüber zum eventuellen
Infektionsherd wurde, haben Kulturschaffende den Himmel über München noch
mehr als Bühne erobert. Wer noch nie im Autokino gewesen war, zog es mit
der Dauer des Pandemieverlaufs zunehmend in Erwägung.
„Kino, Mond und Sterne“ war vor Corona mit über 1.000 Sitzplätzen meist
ausgebucht, während der Pandemie mit 250, später 500 zugelassenen Plätzen
auch – denn im Freien waren die Berührungsängste kleiner. Kulturtempel
wurden zwar auch in den Pandemiejahren eingeweiht, wie das neue
Volkstheater und die monumentale Isarphilharmonie, dann aber nur unter
Auflagen oder auf angrenzenden Freiflächen bespielt.
Und während Berlin sein Sommermärchen vor 20 Jahren hatte, als zur WM
überall Fernseher auf Gehwegen herumstanden, entdeckte München in der
Pandemie die Schanigärten. Gerade München tat Corona da nicht nur schlecht.
Die Kultur wurde inklusiver, je mehr sie draußen stattfand.
Auch heuer spielt der DJ im Univiertel vor den Pinakotheken auf. Den Aperol
auf den Stufen der Bayerischen Staatsoper gibt’s jetzt ohne Blick auf
demonstrierende Coronaleugner. Das Programm der Open-Air-Kinos ist auch in
diesem Jahr eher breitenwirksam: Die Eberhofer-Krimis sind für das
bayerische Draußen-Erlebnis perfekt, Abenteuer im Kopf bei Reisefilmen,
„Avatar“ und „Guardian of the Galaxy“ ersetzen reale. Foodtrucks,
Flaschenbier und Decken machen mittelgute Lichtverhältnisse in der
Dämmerung wett.
So hängt ein wehmütiger Zauber über dem beginnenden Sommer 2023. Natürlich
ist Kultur nicht überlebensnotwendig. Das haben wir ja gesagt bekommen.
Gleichzeitig macht die Kreativität, die sich hier noch stärker als zuvor
ihren Weg ins Freie gebahnt hat, den Menschen so sichtbar zum Menschen, die
Krisenzeiten erst aushaltbar – und das gemeinsame Erlebnis zum Geschenk.
10 Jun 2023
## AUTOREN
Johanna Schmeller
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