# taz.de -- debatte: (Weiter-)Bildungsauftrag | |
> Das Recht auf Aus- und Weiterbildung fristete lange ein Schattendasein. | |
> Jetzt will die Ampelregierung durch ein neues Gesetz endlich mehr dafür | |
> tun | |
Wer Zeit, Mühe und Geld in die eigene Ausbildung investiert, handelt | |
vernünftig. Selbstvertrauen und soziale Anerkennung sprechen für | |
lebenslange Bildung, neben verbesserten Chancen am Arbeitsmarkt. Die | |
Bedeutung von Bildung ist bereits deshalb immens. Allerdings gibt es | |
bekanntermaßen erhebliche Ungleichheit beim Zugang zu Bildung, obwohl | |
dieser sogar in unseren Grundrechten hervorgehoben wird. Es ist ein | |
wirklichkeitsferner Trugschluss zu glauben, dass Bildungschancen gleich | |
seien, denn die erheblichen Unterschiede sind in Deutschland immer noch das | |
Ergebnis der sozialen Herkunft. | |
Allerdings hat unser Staatswesen die Pflicht, allen eine Bildung zu | |
ermöglichen – das ist der so genannte Bildungsauftrag. Vor diesem | |
Hintergrund besteht die Schulpflicht. Mit dem Ende der nicht immer | |
alltagstauglichen Schulbildung sind aber viele junge Leute keineswegs | |
ausreichend qualifiziert für das Berufsleben – und deshalb endet die | |
staatliche Verpflichtung, Bildung anzubieten, nicht bereits mit Erlangen | |
irgendeines Schulabschlusses. Sie muss vielmehr die berufliche Aus- und | |
Weiterbildung in weitaus stärkerem Maße im Blick haben. Alarmierend ist | |
dabei, dass zahlreiche Bewerberinnen und Bewerber keinen Ausbildungsplatz | |
finden, woraus eine sogenannte Ungelerntenquote von etwa 14 Prozent im | |
Alter von 20 bis 34 Jahren resultiert. Arbeitslosigkeitsrisiken liegen auf | |
der Hand. | |
Vor diesem Hintergrund will die Ampelregierung das „Gesetz zur Stärkung der | |
Aus- und Weiterbildungsförderung“ auf den Weg bringen. Im Entwurf sind die | |
Probleme und Ziele erläutert, insbesondere Herausforderungen durch die | |
Digitalisierung und die angestrebte Klimaneutralität, die wiederum | |
verschärft werden durch die Energiekrise, Lieferkettenprobleme und einen | |
erhöhten Ausbildungsbedarf. In Ergänzung zum „Qualifizierungschancengesetz�… | |
und zum „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ erhofft sich die Regierung durch den | |
weiteren Schritt mehr „Verständnis von Weiterbildung als präventive | |
Investition zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit“. | |
Hierzu werden konkrete Maßnahmen versprochen: Die Beschäftigtenförderung | |
soll vereinfacht werden. Diese soll nicht länger auf Berufe, die vom | |
Strukturwandel betroffen sind, und sogenannte Engpassberufe begrenzt | |
werden. Dabei soll die Planungssicherheit für die Arbeitgeber verbessert | |
werden. Auch soll ein Qualifizierungsgeld eingeführt werden für | |
Beschäftigte, denen „im besonderen Maße durch die Transformation der | |
Arbeitswelt der Verlust von Arbeitsplätzen droht“, bei denen | |
Weiterbildungen jedoch eine „zukunftssichere Beschäftigung im gleichen | |
Unternehmen ermöglichen können“. Das Qualifizierungsgeld wäre ein | |
Lohnersatz in Höhe von bis zu zwei Dritteln des Nettogehalts. Außerdem soll | |
eine Ausbildungsgarantie eingeführt werden, die allen jungen Menschen ohne | |
Berufsabschluss zu einer Berufsausbildung verhilft. Das folgt aus der | |
EU-Initiative „Jugendgarantie“, wonach allen Angebote für Beschäftigung, | |
Ausbildung oder Weiterbildung gemacht werden sollen, ohne in die | |
Ausbildungsverantwortung der Wirtschaft einzugreifen. Ein Bestandteil davon | |
ist die Einführung kurzer betrieblicher Praktika, etwa nach Abbruch von | |
Studium oder Berufsausbildung. Und schließlich sollen finanzielle Anreize | |
verlängert werden, damit berufliche Weiterbildung während einer Kurzarbeit | |
möglich ist. Für die Arbeitgeber werden dazu Erleichterungen bei den | |
Sozialversicherungsabgaben in Aussicht gestellt. | |
Das neue Gesetz führt dazu, dass mehr Geld in die Bildung fließt, und genau | |
dies ist in einer Zeit hoher Militärausgaben ein wichtiges Signal – aus | |
verschiedenen Gründen: Nur mit sozial ausgewogenen Maßnahmen für mehr | |
Bildung kann gesellschaftlichen Spannungen durch die ohnehin bestehende | |
Chancenungleichheit begegnet werden. Der sich verstärkende | |
Rechtsextremismus ist nicht zuletzt die Folge von sozialen Konflikten und | |
kruden Sündenbock-Theorien – Migrantinnen und Migranten sind demnach schuld | |
an der eigenen Lage. Anstatt anderen Menschen die Schuld an der eigenen | |
Situation zu geben, kann diese durch eigene Bildungserfolge verbessert | |
werden. | |
In einem Sozialstaat und in einer Solidargemeinschaft ist zudem geboten, | |
diejenigen zu unterstützen, denen Ausbildung – aus welchem Grund auch immer | |
– nicht leichtfällt. Wenn finanzielle Aspekte problematisch sind, muss | |
sozialstaatlich gefördert werden. Wer in der glücklichen Lage ist, selbst | |
guten Zugang zur Bildung zu haben, sollte anerkennen, dass Mitmenschen | |
solidarische Hilfe benötigen. Letztlich ist eine solche Investition | |
sinnvoller, als später Missstände auszugleichen, denn es müssen die | |
Ursachen angegangen werden, nicht nur Symptome. | |
Unabhängig davon ist es gesamtwirtschaftlich wichtig, dem Fachkräftemangel | |
intensiv entgegenzutreten. Unternehmen sind auf gut ausgebildete | |
Mitarbeitende angewiesen, denn Deutschland kann seine exportstarke | |
Wirtschaft nur durch fortschrittliche, umweltgerechte Technologien | |
erhalten. | |
Der Abwanderung von Fachkräften muss durch die Förderung von Aus- und | |
Weiterbildung begegnet werden, insbesondere im medizinischen Bereich. Mit | |
Aus- und Weiterbildung kann also weitaus mehr für eine soziale Gesellschaft | |
und eine erfolgreiche Wirtschaft erreicht werden als durch Gebote und | |
Verbote. | |
Deshalb ist jeder Schritt, bei dem öffentliche Gelder in Bildung gesteckt | |
werden, eine gute Nachricht, so auch der neue Gesetzentwurf, bei dem Kosten | |
von rund 450 Millionen Euro pro Jahr geschätzt werden. Abzuwarten bleibt, | |
ob die Ampel nicht nur in der Aus- und Weiterbildung einen wichtigen | |
Schritt nach vorn macht, sondern auch bei den Ganztagsangeboten an Schulen | |
und bei der Erwachsenenbildung – so wie im Koalitionsvertrag versprochen. | |
25 May 2023 | |
## AUTOREN | |
Andreas Gran | |
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