# taz.de -- berliner szenen: Ein Rap gegen den Stress | |
In der S-Bahn ist es voll, weil der Zugverkehr wegen eines Notarzteinsatzes | |
an der Yorckstraße unregelmäßig ist. Die Bahn ist gerammelt voll und ich | |
quetsche mich gerade noch herein, halte dabei meine Tasche hoch, weil neben | |
mir eine Frau mit einem Kinderwagen steht. Ich höre Musik über Kopfhörer | |
und es ist wie in einem Videoclip. Ich sehe die Leute an, sie vermeiden | |
Blicke und versuchen, einen kleinen Raum für sich mit ihren Armen oder | |
Taschen abzugrenzen. Ich habe mal gelesen, dass die persönliche Intimzone | |
jedes Menschen bei etwa 60 Zentimetern liegt. Wenn Fremde darüber hinaus zu | |
nahe kommen, erzeugt das Stress und ein Gefühl von Flucht. Diese 60 | |
Zentimeter sind hier deutlich unterschritten, denke ich jetzt. | |
Im nächsten Eingang steht ein junger Mann mit ungepflegtem Bart und einer | |
Basecap in Tarnfarben. Er trägt eine kleine Box um den Hals und spricht in | |
eine dieser länglichen Chipsdosen. Interessant, denke ich und setze | |
umständlich meine Kopfhörer ab, damit ich etwas hören kann. Es ist ein | |
Deutschrap und richtig gut. Seine Stimme hat einen besonderen Klang in der | |
Dose und die Texte handeln vom Leben auf der Straße, von den Blicken, dem | |
Gefühl nicht dazuzugehören, von der Angst, aber auch den Freundschaften. | |
Als er fertig ist, johlen ein paar, andere finden noch Raum zum Klatschen. | |
Der Rapper reicht die Dose durch die Menge, sie wandert weiter und er ruft: | |
„Ich freu mich über jeden Cent.“ Erstaunlich, viele Leute lassen etwas Geld | |
in die Dose fallen. Auch ich. | |
„Ist ja wie Weihnachten und Ostern zusammen heute“, ruft der Rapper | |
erfreut. Ein Mann mit einem Rucksack steht auf und während er sich zum | |
Eingang drängelt, ruft er ihm zu: „Das war dein Song auch.“ | |
Der Musiker guckt ihn an, als hätte der Mann ihm die gesamte Dose mit | |
Scheinen gefüllt. Voller Dankbarkeit. Isobel Markus | |
11 May 2023 | |
## AUTOREN | |
Isobel Markus | |
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