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# taz.de -- Chinkali statt Currywurst
> In Berlin finden sich so viele georgische Restaurants wie sonst nirgends
> in Deutschland. Warum eigentlich? Eine Spurensuche
Bild: Nato Tabeshadze bei der Zubereitung
Von Jens Malling
Teimuraz Gogua schiebt einen Teller mit dampfend heißem Chinkali über eine
der bunten Tischdecken. Nach dem ersten Bissen fließt der Saft aus den
übergroßen Teigtaschen, die mit Rinder- und Schweinehackfleisch, Chili und
Koriander gefüllt sind. Der Chefkoch und Mitinhaber des georgischen
Restaurants „[1][Der blaue Fuchs“] in Prenzlauer Berg, den alle nur Chipo
nennen, erklärt, warum die Küche seiner Heimat immer mehr Verehrer findet:
„In der Sowjetunion – zu der Georgien bis 1991 gehörte – hatte die
georgische Küche den Ruf, die beste zu sein.“
Gerichte wie Schaschlik und Chatschapuri seien in allen Sowjetrepubliken
bekannt und beliebt gewesen, meint Gogua. Der 44-jährige Restaurantbesitzer
erwähnt die georgischen Bezeichnungen für Grillspieße mit marinierten
Fleischstücken beziehungsweise Brot mit gebackenem Sulguni- oder
Imeruli-Käse, das in jeder Region des Landes anders zubereitet wird und
ohne das die georgische Gastronomie kaum zu denken ist.
Georgien wurde einst als das „Italien der Sowjetunion“ bezeichnet.
Georgische Restaurants gehören seit Langem zu den besten und gefragtesten
in vielen osteuropäischen Städten. Auch in der deutschen Hauptstadt finden
sich immer häufiger Gerichte des kleinen Landes im Kaukasus auf der
Speisekarte. Berlin bildet mit nicht weniger als 12 georgischen Restaurants
eine Art Hauptstadt der georgischen Küche außerhalb der ehemaligen
Sowjetrepubliken.
Der Siegeszug der georgischen Küche begann also in der Sowjetunion – und
laut Chipo hat die große Diaspora aus den einzelnen, ehemaligen
Teilrepubliken dafür gesorgt, dass die georgischen Restaurants in Berlin
schon immer Besucher angezogen haben. Doch dann begann eine neue
Entwicklung. „In den letzten fünf oder zehn Jahren ist es sehr beliebt
geworden, nach Georgien zu reisen. Der Tourismus boomt. Viele Westeuropäer
sind inzwischen selbst dort gewesen“, sagt Chipo. „Sie probieren die
Gerichte, sind begeistert, kommen zurück und erzählen davon. Es spricht
sich herum, dass das Essen fantastisch ist.“ Deshalb werde die Küche immer
berühmter und die Nachfrage wächst.
Im nahe gelegenen Restaurant „[2][Golden Fleece“] in Mitte verwöhnt die
Besitzerin Sopiko Morchiashvili die Gäste mit traditionellen Spezialitäten
aus ihrer Heimatregion in Zentralgeorgien. „Die Georgier sind für ihre
Gastfreundschaft bekannt. Sie ist tief in unserer Kultur verwurzelt“, sagt
sie. „Wenn wir Gäste einladen, tun wir alles, damit sie sich wie zu Hause
fühlen.“
Auf die Frage, welches Gericht sie am liebsten isst, muss die 38-jährige
Gastgeberin erst einmal nachdenken. „Wenn ich nur ein Lieblingsgericht
nennen darf, dann wäre es Imeruli Chatschapuri“, antwortet sie und nennt
den Klassiker unter den Chatschapuris: die Version, bei der der Käse in das
Brot eingebacken wird. Ein paar Minuten später bringt ihre Mutter, Nato
Tabeshadze, genau diese Spezialität aus der Küche. „Madloba“, sagt
Morchiashvili in ihrer Muttersprache – danke. Und kostet das Gebäck, dem
der Imeruli-Käse eine weiche Wärme und einen leicht salzigen Geschmack
verleiht.
„Meine Mutter ist eine hervorragende Köchin. Als ich 2020 die Möglichkeit
bekam, das Restaurant zu eröffnen, habe ich sie sofort eingeladen und ihr
die Stelle als Küchenchefin angeboten“, erzählt Morchiashvili. „Sie stammt
aus der Region Imereti und ist besonders geschickt im Backen von
Chatschapuri. Alle Rezepte für die Gerichte auf der Speisekarte stammen von
meiner Mutter.“
Grün, lila, rot, braun, beige – Mutter Nato Tabeshadze bringt nun einen
großen farbenprächtigen Teller mit Pkhali. Rote Bete, Huhn, Bohnen, Spinat
– verschiedene Arten von Püree sind in einem Kreis hübsch angerichtet. In
der Mitte liegen gebratene Auberginenstücke mit einem Püree aus Walnüssen
und Knoblauch gefüllt – sogenannte Badridschani. Darauf gestreut funkeln
Granatapfelkerne wie winzige Rubine, bevor sie zwischen den Zähnen
zerplatzen und einen fruchtigen, herbsüßen Geschmack freisetzen. Buchstaben
des georgischen Alphabets schlängeln sich über die Etiketten der
Limonadenflaschen. Golden oder grün. Birne oder Estragon. Und natürlich
gibt es dazu Wein. Er rundet die Mahlzeit ab und ist ein untrennbarer
Bestandteil der georgischen Esskultur. Die Tradition der Herstellung der
roten, orangefarbenen und weißen Tropfen gehört zu den ältesten der Welt.
„Wir servieren ausschließlich Wein aus Kachetien“, sagt Morchiashvili und
verweist auf die berühmteste Weinbauregion des Landes östlich von Tiflis.
Sie hat einen trockenen, weißen Tsinandali aus den Rebsorten Rkatsiteli und
Mtsvane eingeschenkt. „Gaumarjos“ – Prost: eines der wichtigsten
georgischen Wörter.
Die Küche des kleinen kaukasischen Landes begeistert zunehmend auch
international einflussreiche Köche und Gastrokritiker. Teils wird das
Potenzial der georgischen Küche mit Sushi und dem Hype um japanisches Essen
in den 1990er Jahren verglichen.
René Redzepi ist Chefkoch und Mitinhaber des Michelin-Restaurants Noma in
Kopenhagen, das mehrere Male als bestes Restaurant der Welt ausgezeichnet
wurde. Er meint, dass die georgische Küche eine der letzten großen
unentdeckten europäischen Küchen sei. Für ihn ist sie außerdem eine
wichtige Quelle der Inspiration.
Bereits mehrfach habe er in der georgischen Hauptstadt Tiflis gegessen,
erzählt Redzepi. Die Esskultur sei wirklich spannend und sehr saisonal
geprägt. „Besonders intensiv kam ich vor einigen Jahren damit in Berührung,
als ich auf einer zweiwöchigen Reise in den Kaukasusgebirgen von Bergdorf
zu Bergdorf wanderte“, erzählt er. Auch er lobt die Gastfreundschaft der
Georgier. „Ich wohnte bei den Einheimischen und aß, was es zum Essen gab.
Wir haben jeden Abend bis spät in die Nacht gegessen, gesungen und
getrunken.“ Redzepi denkt gerne und häufig an die Erlebnisse zurück, sagt
er. Das liege auch daran, dass Georgien ein Paradies für Liebhaber der
Naturweine ist.
10 May 2023
## LINKS
[1] https://derblauefuchs.metro.bar/?lang=de
[2] https://goldenfleece-restaurant.business.site/
## AUTOREN
Jens Malling
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