# taz.de -- Was frühereinmal war | |
> Der ehemalige Olympiasieger im Diskuswurf, Rolf Danneberg, ist fast | |
> unbemerkt 70 geworden. Was bleibt von so einem Sieg? | |
Bild: Doping für die Chancengleichheit: Danneberg im Jahr 1992 | |
Von Paul Frommeyer | |
Es gibt da diese berühmte Skulptur aus der griechischen Antike: den | |
Diskuswerfer des Myron, zu Bronze geworden und damit dem Prozess des | |
Alterns entrückt. Diese Gnade ist Rolf Danneberg nicht zuteil geworden. Der | |
Diskus-Olympiasieger von 1984 in Los Angeles ist nun auch schon siebzig | |
Jahre alt. 1, 98 Meter groß, bringt er heute 145 Kilogramm auf die Waage, | |
20 mehr als zu seiner aktiven Zeit. | |
Der immer noch stattliche Körper macht dem einstigen Modellathleten Sorgen | |
und stellt die damit betrauten Ärzte vor ein Rätsel. „Ich leide seit | |
einigen Jahren an einer Polyneuropathie“, erklärt er. „Dabei handelt es | |
sich um eine gestörte Reizweiterleitung der Nerven.“ Das führe dazu, dass | |
die Füße taub und selbst kurze Spaziergänge mit einer übermächtigen | |
Anstrengung verbunden seien. Die Krankheit sei so selten, dass es auch kaum | |
Medikamente dafür gibt. „Da wäre ja nichts zu verdienen für die | |
Pharmaindustrie.“ | |
Es ist ein bisschen still geworden um ihn, sodass man auch schon mal seinen | |
runden Geburtstag vergessen kann, den er schon am 1. März gefeiert hat. Das | |
hat indes den Vorteil, dass der Zwang zur allzu forcierten Höflichkeit | |
entfällt; wer konfrontiert schon ein etwas in die Jahre gekommenes | |
Geburtstagskind zu seinem Ehrentage mit seinen Schattenseiten. Denn Rolf | |
Danneberg steht auch exemplarisch für die bis heute nicht gut | |
aufgearbeitete Dopingvergangenheit der bundesrepublikanischen | |
Leichtathletik. Dabei war er auch schon in den achtziger Jahren, als | |
Aktiver, kein Heuchler. Auf die Problematik angesprochen, sagte er damals: | |
„Ich kann, weil es ja alle machen, nichts Schlechtes an der derzeitigen | |
Praxis finden.“ Anabolikamissbrauch als Faktor der Chancengleichheit? | |
Dass seine Aussage von damals implizierte, dass er den Anabolikakonsum | |
quasi eingestanden hat, will er so nicht mehr einräumen: „Was soll ich | |
damals gesagt haben?“ Am Ende seiner Laufbahn, die ihm vier Jahre nach dem | |
Triumph von Los Angeles noch eine olympische Bronzemedaille bei den Spielen | |
in Seoul bescherte, verlieh der Leichtathletik Verband ihm mit dem | |
Rudolf-Harbig-Preis die höchste Auszeichnung, die der Verband an Athleten | |
zu vergeben hat, „die sich in Haltung und Leistung viele Jahre verdient | |
gemacht haben“, wie es in der Begründung heißt. | |
Trotz eines abgeschlossenen Lehramtsstudiums (Sport und Soziallehre), hat | |
er nie als Lehrer gearbeitet, sondern eine Weile als Trainer, sowie ein | |
paar Jahre in einer Immobilienfirma. „Ich habe nie mit meinem Geld geast, | |
sondern es vernünftig angelegt“, sagt er. Er wohnt in einem großzügigen | |
Haus in Hamburg, wo er fast sein ganzes Leben verbracht hat. | |
Doch von seiner Heimatstadt fühlt er sich nicht gewürdigt. „Ich bin der | |
einzige noch lebende Olympiasieger in Hamburg“, sagt er. „Und ich werde | |
totgeschwiegen. Ich habe nie auf dem Balkon des Rathauses gestanden, wie | |
die Handballer oder wer sonst alles“, sagt er. Und doch scheint ihm das | |
Reden eine Wohltat zu sein, fast eine Katharsis. Es ist eine regelrechte | |
Suada, die er von sich gibt. | |
Und dann sagt Rolf Danneberg: „Mir fehlt der Spaß am Leben!“ Da ist diese | |
Krankheit. Es komme gelegentlich zu Stürzen; und das bei seinem enormen | |
Gewicht: „Ich esse einfach zu gerne“, sagt er. Meist isst er allein. „Ich | |
habe kaum gute Freunde“, gesteht er ein. Gegen diese Einsamkeit helfe die | |
Musik, er lese gern Bücher. Ein Bekannter, auch wenn er ihn selten trifft, | |
aus seiner aktiven Zeit ist ihm geblieben: Jürgen Schult; sein damaliger | |
sportlicher Antipode aus dem anderen Teil des einst zerrissenen Landes. | |
Seine Verbundenheit mit Schult habe man damals verbreitet mit Misstrauen | |
beäugt. Was waren das für Zeiten, wenn die Freundschaft mit einem Sportler | |
aus dem anderen Teil des Landes Missfallen erregte? Es waren Zeiten, in | |
denen der sogenannte „Kalte Krieg“ seinen eisigen Hauch bis in die Stadien | |
blies. | |
In Los Angeles war Schult, der nach dem Mauerfall Bundestrainer der | |
deutschen Diskuswerfer wurde, nicht dabei. Es waren die „Boykottspiele“, | |
bei denen die Athleten aus dem damaligen Ostblock nicht antraten, nachdem | |
vier Jahre zuvor der „Westen“ nach der militärischen Intervention der | |
Sowjetunion in Afghanistan ihrerseits die Spiele in Moskau boykottiert | |
hatte. | |
Das klingt heute alles fast anachronistisch. Und Rolf Danneberg ist kein | |
Nostalgiker, auch wenn er sich noch gelegentlich die Kassette mit den | |
Aufnahmen seines Triumphs von Los Angeles anschaut, wo er mit 66,50 Metern | |
die Goldmedaille gewann. Fragt man ihn nach den Gefühlen bei diesem nicht | |
unbedingt erwarteten Erfolg, redet er schnell: „Es ist mir schon noch alles | |
präsent“, sagt er, rettet sich dann in Empfindungen, die vom eigentlichen | |
Erleben wegführen, als wäre da ein schwarzes Loch. „Ich war damals | |
emotional sehr ausgelaugt“, versucht er, eine Erklärung zu finden. | |
Er habe überlegt, ein Buch über sein Leben zu schreiben, sagt er. Daraus | |
spricht keine Selbstüberhebung, eher das Bedürfnis, die Anerkennung | |
einzufordern, die ihm seiner Meinung nach gebührt. Wäre da nur nicht diese | |
große – Erschöpfung. Sie sitzt diesem Recken im Nacken, hat man den | |
Eindruck. Und er kann dieses Monster nicht abschütteln. | |
Es gibt, daraus macht er kein Hehl, ein Ereignis in seinem persönlichen | |
Leben, das er nicht überwunden hat. Vor drei Jahren starb seine langjährige | |
Lebensgefährtin an Krebs. „Da bin ich bis heute nicht drüber weg gekommen�… | |
sagt er. Er sagt es mit dem Nachdruck eines Menschen, dem die Trauer auch | |
heute noch zum festen Bestandteil des Lebens gehört. | |
Manchmal fühlt er sich umzingelt „von Bösartigkeiten.“ Konkreter kann er | |
das nicht sagen. „Journalisten, ja“, sagt er einmal. Viele hätten keine | |
Ahnung. Er weiß noch nicht, ob er sich die Leichtathletik-WM (19. bis 27. | |
August in Budapest) im Fernsehen anschauen wird. Dabei sei er durchaus | |
interessiert, „aber es gibt da keine wirkliche Kompetenz, schon gar nicht, | |
was die Wurfdisziplinen angeht. Wenn, dann stelle ich den Ton des | |
Fernsehers aus.“ | |
6 May 2023 | |
## AUTOREN | |
Paul Frommeyer | |
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