# taz.de -- Auch Engel haben Aids | |
> Keine Arien zum Mitsummen, dafür ein Abend intensives Musiktheater: Mit | |
> „Angels in America“ zeigt das Theater Bremen erstmals eine Oper von Péter | |
> Eötvös | |
Von Andreas Schnell | |
Diese Oper hat das Zeug zum Klassiker. In Hamburg hatten Péter | |
Eötvös’„Angels in America“ schon 2005 ihre deutsche Erstaufführung erl… | |
Regie führte damals Benedikt von Peter, in Bremen bestens bekannt für | |
spektakuläre Inszenierungen im Musiktheater, dessen Leiter er von 2012 bis | |
2015 war. | |
Die Uraufführung hatte im Jahr 2004 Komponist Eötvös selbst am Théâtre du | |
Châtelet in Paris dirigiert. Nun zeigt das Theater Bremen das Werk, für | |
dessen Libretto Eötvös Frau Mari Mezei sich auf zwei Theaterstücke von Tony | |
Kushner gestützt hat. Inszeniert hat Andrea Moses das Werk: Erstmals steht | |
damit eine der mittlerweile 13 Opern des in Rumänien geborenen, ungarischen | |
Komponisten auf dem Bremer Spielplan. Zu sagen, dass man sich dort in den | |
vergangenen zehn Jahren mit dem zeitgenössischen Opernrepertoire eher | |
schwer getan hat, ist eine fast zu milde Umschreibung. | |
„Angels in America“ könnte nun durchaus sein Publikum finden. Nicht so | |
sehr, weil es darin Arien zum Mitsummen gäbe. Dafür ist die Musik von | |
Eötvös, der von sich sagt, seinen Stil dadurch zu haben, keinen Stil haben | |
zu wollen, dann doch zu sehr an den Avantgarden des 20. Jahrhunderts | |
geschult. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird allerdings mit einem | |
intensiven Theaterabend belohnt. | |
Es geht um Leben und mehr noch um Tod, um Krankheit und gesellschaftliches | |
Stigma. In Erinnerung gerufen wird die Bigotterie der Ronald-Reagan-Jahre | |
und die zerstörerischen Kräfte, die in der US-amerikanischen Gesellschaft | |
walten. Und natürlich spielt auch die Liebe eine zentrale Rolle: kurz, es | |
geht eigentlich um alles. Es beginnt gleich schon mit einer Trauerfeier – | |
für die Großmutter von Louis, der bei diesem Anlass erfährt, dass sein | |
Freund Prior an Aids erkrankt ist. | |
Louis wird später mit dem verheirateten Mormonen Joe anbandeln, dessen Frau | |
Harper sich mit Tabletten über die Tristesse ihrer Ehe tröstet. Joe | |
wiederum arbeitet für den Juristen Roy Cohn, der ebenfalls mit Männern | |
schläft und sich dabei mit HIV infiziert, was seinerzeit noch einem | |
Todesurteil gleichkam – physisch und gesellschaftlich. | |
Wie schon in Tony Kushners gleichnamiger Vorlage, die den Untertitel „A Gay | |
Fantasia on National Themes“ („Eine schwule Fantasie über nationale | |
Themen“) trägt, bündelt der Plot teilweise historische Episoden und | |
verschränkt sie mit einer überirdisch apokalyptischen Erzählung. Auf diese | |
Weise schillert das Stück, dessen Handlung in den schwarzen Jahren der | |
Aids-Epidemie Mitte der 1980er angesiedelt ist, zwischen Realismus und | |
Transzendenz. Dafür bietet die Bühne von Katja Haß, ein imposanter | |
Sakralbau, einen tollen Resonanzraum. | |
Zwei der Figuren sind historischen Persönlichkeiten nachempfunden. So | |
assistierte der Jurist Roy Cohn dem Senator Joseph McCarthy bei der | |
Kommunistenjagd, beriet die US-Präsidenten Richard Nixon und Ronald Reagan. | |
Später vertrat er als Anwalt unter anderem diverse Mafia-Größen und das | |
Erzbistum New York, den dubiosen Unternehmer und späteren Präsidenten | |
Donald Trump, aber auch die Eigentümer des legendären New Yorker Clubs | |
„Studio 54“. | |
Bis zu seinem Tod leugnete er, an der Immunschwächekrankheit Aids zu | |
leiden, an deren Folgen er 1986 starb. Leberkrebs schien ihm da schon eher | |
standesgemäß. Zudem hielt er sich zugute, Ethel Rosenberg, der Spionage für | |
die Sowjetunion angeklagt, auf den elektrischen Stuhl gebracht zu haben. | |
Rosenberg erscheint Cohn in „Angels in America“, um ihn sterben zu sehen – | |
was nicht die einzige Begegnung mit dem Jenseits an diesem Abend ist. Es | |
ist nicht nur in Gestalt des Todes allzeit präsent, sondern unauflöslich in | |
die Realität eingewoben – als „ungewisser Status der Visionen“, wie es | |
Eötvös einmal formulierte. | |
Die Lichtregie von Norman Plathe-Narr macht diesen prekären Zustand | |
sichtbar und sinnhaft: Aus dem Gotteshaus wird ein Club, der Pariah-Treff | |
im Central Park – nach der Pause – ein Krankenhaus, in dem Prior seine neue | |
Rolle annimmt und sich trotzig zum Leben bekennt. Großes Theater gibt es | |
dann vor allem im zweiten Teil, wenn die Engel auf die Erde herabsteigen, | |
um den todkranken Prior Walter zum Propheten zu küren. | |
Die Partitur spielt mit Elementen von Jazz und Musical, arbeitet neben | |
klassischem Instrumentarium auch mit Hammondorgel, Saxofon und | |
elektrischer Gitarre, verstärkt, begleitet, nimmt vorweg oder vollzieht | |
nach, was auf der Bühne und in den Köpfen der Figuren geschieht. William | |
Kelley führt die Bremer Philharmoniker souverän durch die komplexen | |
Texturen, arbeitet die detailliert ausgearbeiteten Stimmungen und | |
dramatischen Verdichtungen präzise heraus. | |
Auch die Sänger laufen zu großer Form auf, gesanglich wie darstellerisch. | |
Stephen Clark ist ein hinreißend widerwärtiger Ray Cohn. Der Countertenor | |
Matthew Reese, der die Partie bereits mehrfach gesungen hat, glänzt unter | |
anderem als Krankenschwester Belize. Ulrike Mayer gibt der | |
tablettensüchtigen Ehefrau von Joe Pitt ebenso Kontur wie Ethel Rosenberg. | |
Und Ian Spinetti als Prior und Marie Smolka glänzen in den zentralen | |
Rollen: als Engel. | |
Angels in America, Theater Bremen, Großes Haus. Wieder am 30. 4., 18.30 | |
Uhr, am 4. und 12. 5., 19.30 Uhr, sowie am 21. 5., 15.30 Uhr | |
28 Apr 2023 | |
## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
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