# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Fabian Schroer: Im Spiegelsaal von Schlo… | |
When I moved into Neukölln, I don’t know if there were places where you | |
could get an Espresso“, sagt eine Stimme aus dem kleinen Lautsprecher. Der | |
Künstler Michael Tuttle erklärt im Videointerview, wie seine Nachbarschaft | |
sich in den letzten Jahren verändert hat. Das altdeutsche Restaurant wurde | |
zur Hipster-Bar. Arme Menschen wurden durch amerikanische Expats verdrängt. | |
Und Tuttle ist, wie er selbst zugibt, Teil des Problems – der | |
Gentrifizierung. | |
Um die geht es in „Freifläche: Wir bleiben!“, der neuen Sektion der | |
Dauerausstellung „Berlin Global“ im Humboldt Forum. Gezeigt wird das | |
Gestern und Heute von Berliner Kulturen, die Entstehung und das | |
Verschwinden von Freiräumen und der damit verbundene Aktivismus. Auf den | |
„Freiflächen“ tragen wechselnde externe Künstler*innen ihren Teil bei. | |
Widerstand wird zum Ausstellungsstück. | |
Am grauen Freitagnachmittag treffe ich einige Freunde vor dem pompösen | |
Portal des für über eine halbe Milliarde wiederaufgebauten Berliner | |
Schlosses. Am Eingang des Humboldt Forums erinnern meterhohe Bronzetafeln | |
an König Friedrich I. von Preußen. Über unseren Köpfen thront die | |
gigantische goldene Kuppel. Darauf fordert ein Bibelspruch die Unterwerfung | |
aller Menschen unter das Christentum. | |
„Das kann ja was werden“, sagt B. Nicht ganz unvoreingenommen betreten wir | |
die Ausstellung. Die verschiedenen Räume von „Berlin Global“ tragen Titel | |
wie „Grenzen“, „Vergnügen“ oder „Revolution“. Wir schlendern an Fo… | |
schlafenden Punks auf dem brachliegenden Potsdamer Platz vorbei, an | |
Spartakisten-Plakaten, Türkischen Çay-Gläsern und Second-Hand-Mode in | |
Schaukästen. | |
„Kommt denn hier jemand aus Berlin?“, fragt die Ausstellungsführerin mit | |
ihrem französischen Akzent. Die kleine Touri-Gruppe vor ihr schüttelt den | |
Kopf. Sie hält gerade an der Station zur Märzrevolution von 1848. Damals | |
brannten in Berlin die Barrikaden und im noch originalen Schloss residierte | |
Friedrich Wilhelm IV. – der gab das Original der Kuppel in Auftrag. | |
Im letzten Raum zeigt eine große Collage, wie Bagger graffitibesprühte | |
Kreuzberger Wände niederreißen. Die Freifläche „Wir bleiben!“ porträtie… | |
mit Bild- und Tonmaterial verschiedene Berliner Kreative und Aktive, die | |
sich auf ihre Art gegen den Ausverkauf der Stadt wehren. Neben Tuttle | |
kommen auch die „Freiheit“ am Ostkreuz oder das „Netzwerk #200Häuser“ … | |
Wort. Doch nicht alle wollten mit den Kurator*innen reden. Ein Schild | |
an der Wand verrät: Einige Initiativen sagten die Zusammenarbeit ab, als | |
sie erfuhren, dass das Projekt mit dem Humboldt Forum verbunden ist. | |
Kurz nach sechs verlassen wir den preußischen Palast. Es regnet ein | |
bisschen. „Irgendwie finde ich das kacke“, sagt S. „Die haben hier damals | |
auf Barrikaden gekämpft, und jetzt gehen wir ins Museum, um uns das | |
anzugucken.“ Wir bleiben kurz stehen und drehen uns Zigaretten. Die lange | |
Bank zur Seite des Schlosses ist übersäht mit Hubbeln. Das nennt man | |
defensive Architektur. Es sollen keine Obdachlosen drauf schlafen. | |
Zurück in Neukölln ergattern wir einen Platz im völlig überfüllten Peppi | |
Guggenheim. In der kleinen Bar spielt das „Florian Fleischer Trio“ | |
Jazz-Standards und Kompositionen des Bandleaders. Das Peppi selbst habe | |
keine Probleme mit Verdrängung, erklärt mir der Barkeeper auf Englisch. Man | |
sei gut mit dem Vermieter, der lebe schon lange in Berlin und stehe selbst | |
auf Musik. | |
Espresso bekommt man in Neukölln inzwischen an jeder Ecke. Wie Michael | |
Tuttle sind auch der Barmann und Gitarrist Florian Fleischer keine | |
gebürtigen Berliner. Unsere kleine Museumsgruppe diskutiert gequetscht auf | |
einer Bierbank darüber, warum wir uns nicht selbst mehr politisch | |
organisieren. Wie wohl die Allermeisten hier, sind auch wir – durchweg | |
zugezogen. | |
2 May 2023 | |
## AUTOREN | |
Fabian Schroer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |