# taz.de -- berliner szenen: Der Trick mit den Schuhen | |
Es ist Frühling. Überall grünt und blüht es, die Sonne scheint und die | |
Tauben kacken wieder in Paaren auf die S-Bahnhöfe. Ich laufe mit J. durch | |
den Volkspark. Irgendwann setzen wir uns auf eine Bank. | |
J. hält das Gesicht in die Sonne und ich sehe den Familien mit behelmten | |
Kindern auf kleinen Fahrrädern, Laufrädern, Rollern oder in großen | |
Fahrradanhängern zu. Ein Opa schiebt einen Zwillingskinderwagen mit | |
vorhängenden Tüchern im Kreis durch den Park. Als er zum dritten Mal an uns | |
vorbeikommt, nickt er mir stolz zu. | |
J. hat die Augen geschlossen. Auf ihren Lidern glitzert es. Eine sportliche | |
alte Frau kommt des Weges. Sie trägt ihre Haare in kurzen grauen Locken, | |
eine praktische Jacke und Jeans, geht schnell und stetig. Sie gehört zu der | |
Sorte drahtiger Frauen, die ihr Leben lang aktiv und unermüdlich sind, | |
denke ich. | |
Auffällig sind ihre Schuhe. Es sind braune Herrenlederschuhe. Sie sind | |
etwas zu groß und ein Schnürsenkel ist aufgegangen. Direkt vor mir bemerkt | |
sie es, sieht die freie Ecke unserer Bank und fragt: „Entschuldigen Sie, | |
darf ich kurz mein Schuhband richten?“ | |
„Sicher.“ Ich mache ihr etwas Platz. Sie stellt einen Fuß auf die Bank und | |
sagt: „Das sind die Schuhe meines Vaters. Original 20er Jahre.“ | |
„Sie sind mir direkt aufgefallen“, sage ich. | |
Sie bindet die Schleife: „Diese Schuhe sind unkaputtbar. Das war noch | |
Qualität. Immer wenn ich denke, dass ich schon genauso werde wie mein | |
Vater, ziehe ich sie an und gehe in seinen Schuhen. Um den Unterschied zu | |
merken.“ | |
Ich sehe sie an. Sie lacht, verabschiedet sich und geht weiter. | |
„Hast du das mitgekriegt?“, frage ich J. | |
Sie nickt mit geschlossenen Augen und murmelt: „Voll der Trick“. | |
Isobel Markus | |
25 Apr 2023 | |
## AUTOREN | |
Isobel Markus | |
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