# taz.de -- Bild und FDP in großer Sorge: Stoppt Habecks Ökosozialismus! | |
> Die hysterischen Angriffe der Gegner von Klimapolitik auf ein Ende des | |
> Neu-Einbaus von Gas- und Ölheizungen sind ein gutes Zeichen – besonders, | |
> wenn man das neue Buch von Claudia Kemfert gelesen hat. | |
Bild: Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, steht bei … | |
Von [1][MARTIN UNFRIED] | |
[2][taz FUTURZWEI], 03.03.2023 | Wenn es einen guten Grund gibt, den | |
gescheiterten Fernsehsender Bild TV zu schauen, dann um zu verstehen, wie | |
die Gegner oder sogar Feinde des Grünen Wirtschafts- und Klimaministers | |
drauf sind. Da wird aus allen Rohren gegen den „Traumtänzer“ Habeck | |
geschossen, der keine Ahnung habe von der Realität im Heizungskeller, der | |
mit sozialistischen Verboten komme, die unsere Volkswirtschaft und | |
Innovation erdrückten, der Hausbesitzer und Mieter finanziell ruinieren | |
werde. Konkret geht es um einen Gesetzesentwurf, nach dem alle neuen | |
Heizsysteme, die ab 2024 installiert werden, mindestens 65 Prozent der | |
Wärme aus erneuerbaren Energien produzieren müssten. | |
Diese mutmaßlich gespielte Hysterie ist eine gute Nachricht: Die | |
vereinigten Klimaskeptiker von Bild bis zur FDP haben wirklich Angst, dass | |
diese Regierung jetzt echte Klimapolitik macht. Mit diesem Wissen wirkt es | |
fast schon skurril, wie bemüht hier an der Erzählung gestrickt wird, | |
Habecks Versuch, postfossile Zukunft voranzubringen, sei Grüne Ideologie, | |
die eben dirigistisch und koste es, was es wolle, dem Hobby von Calvinisten | |
und Verbotsfetischisten fröne. Wenn Menschen für Klimapolitik demonstrieren | |
wie an diesem Freitag, kriegen sie sofort Schnappatmung. | |
In dieser Welt gibt es keine Klimaschutzziele der EU und der | |
Bundesregierung und kein geltendes Recht. Beispielsweise kommt das | |
Klimaschutzgesetz nicht vor, das wirksame Maßnahmen im Gebäudebereich | |
vorschreibt. Auch nicht die breite Palette der im Gesetzesentwurf | |
beschriebenen Alternativlösungen, wie Gaskessel mit hybrider Wärmepumpe. In | |
dieser Welt ist auch das Ende der Zulassung von Verbrennern nicht | |
Konsequenz des Paris Klimaabkommen und der Zukunftsfähigkeit der deutschen | |
Autoindustrie und ihrer Arbeitsplätze, sondern pure Schikane, spielen bei | |
der Beschwörung von synthetischen Kraftstoffen wissenschaftliche | |
Erkenntnisse über deren Ineffizienz keine Rolle. | |
Selbst das antiquierteste Argument wird hier aus der Mottenkiste geholt: | |
Nur wir Deutschen sind so dumm, um Heizungen zu verbannen. Nun, wer sich | |
nicht für Erderhitzung und ihre Folgen interessiert, der kann auch nicht | |
wissen, dass etwa in Dänemark der Einbau von Gasheizungen seit zehn Jahren | |
nicht mehr erlaubt ist. In Frankreich ist es seit 2022 nicht mehr möglich | |
im Neubau eine Heizung einzubauen, die nur mit Erdgas betrieben wird. Im | |
Großbritannien werden Gasboiler ab 2025 im Neubau nicht mehr zugelassen. | |
Auch in den Niederlanden sind ab 2026 nur noch Hybridsysteme erlaubt. Wenn | |
dort ein neuer Gaskessel installiert wird, dann mit Wärmepumpe oder anderen | |
erneuerbaren Energien. | |
Was wirklich jenseits jeglicher Vernunft ist: 2022 wurden in Deutschland | |
trotz explodierender Gaspreise noch 600.000 neue Gasheizungen einbaut. Die | |
haben nach den bisherigen Plänen von Habeck Bestandsschutz und müssen erst | |
2045 ausgetauscht werden. Diese Heizungen gefährden beides: die finanzielle | |
Situation von Mietern und Eigenheimbesitzern und die Klimaziele im | |
Gebäudebereich. Frage an die FDP: Wenn jährlich immer noch mal so viele | |
Gasheizungen dazu kommen, wer finanziert dann die Gaspreisbremsen bei | |
künftigen Krisen? | |
Das neue Buch der Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert vom | |
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) beschreibt genau | |
das: Pure Unvernunft, die über Jahre hinweg in der Energiepolitik als | |
Vernunft und Pragmatismus verkauft wurde. Es ist unmöglich, beim Lesen | |
nicht zu merken, wie erschüttert sie über die deutsche Energiepolitik der | |
Merkel-Jahre ist. | |
## Sämtliche Merkelregierungen nach 2013 haben die Energiewende aktiv | |
sabotiert | |
Wie kann es sein, beispielsweise, dass die Energiekonzerne Eon und RWE, die | |
aktuell in der Krise immense Gewinne machen, vor Jahren mit Uniper eine Art | |
fossile Bad Bank ausgelagert hatten, für deren Milliarden-Verluste heute | |
der Staat aufkommt? Warum haben CDU/SPD/FDP Regierungen aktiv den Ausbau | |
der Erneuerbaren und eine weitergehende Unabhängigkeit ausgebremst? Die | |
wichtigste Erkenntnis dieses Buches: Anders als Merkel und Steinmeier | |
behaupten, war es eben nicht so, dass die Entscheidungen aus heutiger Sicht | |
wohl falsch, aus damaliger Sicht aber durchaus plausibel waren. Kemfert | |
belegt vielfach, dass die Einschätzung von Merkel und SPD, die Abhängigkeit | |
von russischem Gas sei kein Problem, auch damals durch keine | |
wissenschaftliche Erkenntnis gedeckt war. Wer weiß schon, dass BASF | |
Wintershall, Eon Ruhrgas und Gazprom mit Unterstützung der Bundesregierung | |
ein kompliziertes Firmengeflecht aufbauten? Beteiligungen an Gasfeldern | |
gingen an die Deutschen, das bisher deutsche Unternehmen Wingas (Gashandel) | |
sowie Gasspeicher in Deutschland ging an Gazprom. Dieser Deal hat dazu | |
geführt, dass Gazprom bei Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die | |
Ukraine im Frühjahr 2022 knapp 25 Prozent der deutschen Gasspeicher | |
kontrollierte. | |
Das ist der Hintergrund, warum es zu CDU/SPD-Zeiten nicht erwünscht war, | |
dass im Gebäudesektor – wie in Dänemark - der fossile und russische Gashahn | |
zugedreht wurde. Heißt: Eine echte erneuerbare Wärmewende war zwar | |
drängend, aber eben nicht gewünscht. Das war alles andere als vernünftige | |
Realpolitik. Es war – aus heutiger Sicht – Wahnsinn. | |
Claudia Kemfert erklärt schlüssig, wie sämtliche Merkelregierungen nach | |
2013 die Energiewende aktiv sabotiert haben. Deswegen entstehen heute | |
Kosten in Milliardenhöhe; weil die günstigen Erneuerbaren bisher eine | |
geringere Rolle spielen, als sie bei ungebremsten Ausbau spielen könnten. | |
Merkels treuester Mitstreiter Peter Altmaier spielt eine besonders | |
unrühmliche Rolle: 2013 hatte er behauptet, die Energiewende koste eine | |
Billion Euro. Damit hatte er erfolgreich das mediale Framing der nächsten | |
Jahre geschaffen, wonach die Erneuerbaren nicht in vielerlei Hinsicht | |
Zukunft brächten, sondern den braven Deutschen die Haare vom Kopf fressen | |
würden. Altmaiers Zahl entbehrte wissenschaftlichen Grundlage, Kosten und | |
Investitionen wurden unzulässig vermischt. | |
Claudia Kemfert fragt sich bis heute, wie es sein kann, dass Altmaier mit | |
der damaligen Räuberpistole in den deutschen Medien durchkam. Die Antwort: | |
Es sind Medienreflexe, die seit Jahrzehnten den Subtext der | |
Berichterstattung bilden. Selbst heute noch würden Kemferts weitergehende | |
Vorschläge in Richtung Einsparung und Erneuerbare als unrealistisch | |
abgetan, während der mutmaßlich überdimensionierte LNG-Ausbau oder längere | |
Laufzeiten von Atomkraftwerken als Realpolitik gelte. | |
Interessant ist, dass das gesetzliche Ende des Einbaus neuer Gasheizungen | |
und das bevorstehende Ende der Zulassung von neuen Benzin-Autos jenseits | |
der Bild- und FDP-Kommunikation erheblich differenzierter dargestellt wird. | |
Das ist der Grund, warum die Gegner der Klimapolitik immer hysterischer | |
werden. Ihre Definition von „Vernunft“ ist nicht mehr mehrheitsfähig. | |
CLAUDIA KEMFERT: Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und | |
Frieden. Campus 2023 – 310 Seiten, 26 Euro. | |
MARTIN UNFRIED ist Politologe und arbeitet an der Universität Maastricht. | |
3 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Martin-Unfried/!a182/ | |
[2] /!p5099/ | |
## AUTOREN | |
Martin Unfried | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |