# taz.de -- Die Angst des Amtmannsvor den Akten | |
> In einem Bremer Sozialzentrum tauchten 1.700 unbearbeitete Akten auf. Der | |
> ökonomische Schaden hält sich offenbar in Grenzen, doch die CDU zählt die | |
> grüne Senatorin an | |
Bild: Papier ist geduldig, und wartet, zu Akten gebündelt, auch Jahre auf sein… | |
Von Jan Zier | |
Mehr als tausend vergessene Akten: Das sah zunächst schon nach einem | |
handfesten Skandal in Bremen aus, und das so kurz vor der Wahl; nach einem | |
Rücktrittsgrund für die grüne Sozialsenatorin Anja Stahmann. Und dann hat | |
sie der Opposition auch noch gesagt, im Parlament sogar, man möge doch | |
bitte die Füße still halten, also: bis zum 14. Mai. Dann ist Wahltag. | |
[1][Die CDU schäumt!] Sogar von einem „System Stahmann“ ist dort die Rede, | |
und davon, dass die Missstände „selbstverursacht“ und „aufs Engste mit d… | |
Senatorin persönlich verbunden“ seien. Sie trage die „fachliche und | |
politische Verantwortung“, erklärt die CDU. | |
Was ist passiert? Im einem für drei Stadtteile zuständigen | |
[2][Sozialzentrum] fanden sich kürzlich 1.700 Akten mit etwa 3.000 „nicht | |
abschließend bearbeiteten“ Vorgängen, wie das Sozialressort einräumen muss. | |
Und sie fanden sich eher etwas zufällig, in verwaisten Büros. Neben den | |
Akten gab es etwa 20 Ordner mit Posteingängen, die zwar geöffnet und | |
eingangsgestempelt waren, dann aber liegen blieben. | |
Die Akten betreffen alle die „wirtschaftliche Jugendhilfe“ (WJH), die sich | |
um ambulante, stationäre und teilstationäre Jugendhilfeleistungen oder um | |
die Zahlung von Pflegegeld kümmert. Da geht es um die rechtliche, aber vor | |
allem um die finanzielle Umsetzung von Hilfen für Kinder und Jugendliche: | |
um Kostenzusagen, Bescheide und Abrechnungen. | |
„Bei einem großen Teil“ der Akten handele es sich um Unterlagen von | |
„offenbar längst eingestellten oder gar nicht erst bewilligten | |
Unterhaltsvorschuss-Zahlungen“ aus den Jahren vor 2017. Das ergab eine | |
[3][erste Sichtung der Innenrevision], eine behördeninterne Prüfinstanz, | |
die nun mit vier Personen in zwei Teams die Aktenberge prüft. Ob daraus | |
finanzieller Schaden für die Stadt entstanden sein könnte, „ließ sich | |
bislang nicht klären“, sagt der Sprecher des Sozialressorts. | |
Die Behörde verspricht, dass die Aufklärung „auf Hochtouren“ läuft, | |
erstmals unterrichtet wurde die Sozialdeputation der Bürgerschaft im | |
Februar, im März gab es binnen sieben Tagen gleich zwei Sitzungen zu dem | |
Thema. Die FDP „kann nur den Kopf schütteln“, während die mitregierende S… | |
das Sozialressort für schnelles Handeln lobt. Die CDU beantragt unterdessen | |
Sondersitzungen, eine [4][Aktuelle Stunde] in der Bürgerschaft und schrieb | |
der Behörde einen über [5][70 Fragen langen Katalog mit kurzer | |
Beantwortungsfrist], die die Behörde jetzt noch gar nicht alle beantworten | |
kann. Das diene mehr dem CDU-Wahlkampf als der Aufklärung, heißt es aus der | |
Behörde, und binde personelle Ressourcen, was die Aufarbeitung der Akten | |
nicht eben beschleunige. Man solle die Innenrevision „solide arbeiten und | |
berichten lassen“, trotz des Wahltages am 14. Mai, bittet die Behörde. | |
Und während die CDU von anonymen Hinweisen auf ähnliche Probleme in anderen | |
Sozialzentren spricht, geht das Ressort davon aus, dass „eine vergleichbare | |
Situation in einem dieser fünf anderen Ämter „ausgeschlossen werden kann“… | |
die CDU findet das „erstaunlich“, diesen „Freispruch in eigener Sache“. | |
Rückstände bei der Postbearbeitung träten zwar auf, entgegnet das Ressort, | |
würden aber trotzdem „adäquat“ abgearbeitet. | |
[6][Strukturelle Probleme gibt es trotzdem.] Beim Personal in der | |
wirtschaftlichen Jugendhilfe des betroffenen Sozialzentrums war zuletzt ein | |
Drittel der Stellen unbesetzt, seit 2018 konnten nur für die Hälfte aller | |
ausgeschriebenen Jobs auch Mitarbeiter:innen gefunden werden. Das ist | |
in einem der Sachstandsberichte zu lesen. Demnach seien wegen des | |
Fachkräftemangels offene Stellen schwer zu besetzen, entsprechend | |
zeitaufwändig die Verfahren. | |
Im konkreten Fall gab es laut Bericht im vergangenen September die erste | |
Überlastanzeige, im Oktober wurde geprüft, ob eine Aushilfskraft | |
eingestellt werden könne. Im Dezember nahmen die Beschwerden der | |
Jugendhilfeträger zu. Bis Staatsrat Jan Fries (Grüne) „die erste | |
ausführliche schriftliche Information zum Gesamtvorgang“ von der | |
Jugendamtsleitung erhielt, wurde es Februar. Seit 2020 gab es im Bereich | |
WJH jenes Sozialzentrums elf Überlastanzeigen. | |
Mark Birnstiel, zuständiger Personalratsvorsitzender, widerspricht dem | |
Vorwurf eines „groß angelegten Verwaltungsversagens“, auch wenn ganz | |
offensichtlich Dinge in der Vergangenheit schiefgelaufen seien. „Nichts | |
soll beschönigt werden“ – an Spekulationen oder einem Schnellschuss wolle | |
sich der Personalrat aber nicht beteiligen. „Die Mitarbeiter:innen | |
leisten unter schwierigen Verhältnissen in angespannter Situation ihr | |
Tagesgeschäft“, so Birnstiel, und das obwohl sie „den Medien entnehmen | |
können, dass ihre Arbeit herabgewürdigt wird – auf sehr geringer Daten- und | |
Wissensbasis“. | |
15 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://cdu-fraktion-bremen.de/news/ahrens-system-stahmann-heisst-alle-die-… | |
[2] https://www.service.bremen.de/amt-fuer-soziale-dienste-sozialzentrum-5-vahr… | |
[3] https://sd.bremische-buergerschaft.de/tops/?__=UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZddhawqG… | |
[4] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2023-03-13_Aktuelle%20Stunde… | |
[5] https://sd.bremische-buergerschaft.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZbIJef9S… | |
[6] https://sd.bremische-buergerschaft.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZcm_XWpX… | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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