# taz.de -- In Form gebrachte Dissonanz | |
> Die ukrainische Designerin Kristina Bobkova verbindet traditionelle | |
> ukrainische Techniken und Formen mit japanischem Minimalismus. Geht das | |
> zusammen? | |
Bild: Bänder – ein wichtiges Element in der traditionellen ukrainischen Klei… | |
Von Marina Razumovskaya | |
Auch wenn der EU-Beitritt dauert: Am 19. Mai letzten Jahres hatte sich | |
Ursula von der Leyen schon mal eine ukrainische Bluse angezogen. Sie wolle, | |
so der Post zum Porträt, den Tag der Wyschywanka feiern: „Jeden dritten | |
Donnerstag im Mai ziehen die Menschen traditionelle ukrainische Kleidung | |
mit ethnischen Mustern an – Wyschywanka, ein Symbol der Einheit und der | |
nationalen Identität.“ | |
Die Wyschywanka – von wyschywat’: sticken – ist ein Hemd mit besticktem | |
Einsatz aus traditionellen Motiven, abstrakt oder stilisiert Blumen. Die | |
ukrainische Modedesignerin Kristina Bobkova, die heuer auf der Berlin | |
Fashion Week zum zweiten Mal eine Kollektion ihres Labels BOBKOVA zeige | |
konnte, meint dazu nur: „In meiner Kollektion gibt es kaum Spuren davon. | |
Oder besser: Ich interpretiere es auf meine Weise …“. | |
Denn Traditionen wandeln sich bei Bobkova zu etwas ganz Neuem, wenn sie | |
sich etwa mit japanischen Einflüssen, also eher minimalistischen | |
Auffassungen von Mode, verbinden. „Das gehört zum Code des Brands. Von | |
Anfang an war es mein Konzept, die ukrainische Tradition mit der | |
japanischen zu verbinden.“ | |
Bobkova besuchte als Kind eine Kunstschule, wollte einmal unbedingt | |
Architektin werden, und studierte dann an der Kiewer Hochschule für | |
Technologie und Design Mode. Mit 17 schuf sie ihre erste Kollektion „Saint | |
Sophia“, eine Strickkollektion benannt nach der berühmten Kiewer | |
Kathedrale. Sie gewann seitdem viele, auch internationale Wettbewerbe, | |
arbeitete auch für das Fernsehen und die Musikszene, bis Freunde sie im | |
Jahr 2000 überzeugten, ein eigenes Label zu gründen. | |
Dissonanz ist ein Hauptthema Bobkovas. Ihre Entwürfe sind Thematisierungen | |
von Zerbrechlichkeit, ja Wehrlosigkeit – in feinster Seide und ziselierter | |
Spitzer. Dazu kombiniert sie etwa Overkneestiefel, die sich mit anliegenden | |
Lederhosen verbinden. Über ein zartes Spitzennegligé setzt sie einen langen | |
Rock und eine Jacke aus camelfarbener Wolle mit großen Taschen im | |
Militärlook. Jederzeit können sich Trägerinnen von Spitzentops in | |
Kriegerinnen verwandeln. | |
Oft fallen auch die frei hängenden Bänder auf: Aus einem weißen Dress-Shirt | |
schießt wie ein Pfeil ein langes, schwarzes Band oder aus dem tiefen, | |
gerafften Ausschnitt eines schwarzen Hemdkleids hängt lose ein hellrosa | |
Band heraus. Kristina erzählt, dass in der ukrainischen Mode bunte, frei | |
flatternde Atlasbänder traditionell Teil des Kopfschmucks jüngerer, noch | |
unverheirateter Frauen waren. Für Bobkova sind sie ein Symbol der Jugend, | |
die mit offenen Augen, neugierig in die Zukunft schaut. | |
„Und wie sehen Sie ihre Zukunft? Was ist Ihre Fantasie?“, frage ich. „Bei | |
der jetzigen Lage haben wir Frauen gelernt, für den Tag zu leben, gar keine | |
Pläne für die Zukunft zu machen, die instabil ist, auf jeden Fall sehe ich | |
mich wieder in Kiew, das ich sehr vermisse, wohin ich immer zurückfahre, | |
obwohl ich viel durch Europa gereist bin und seit Mitte März letzten Jahres | |
in Marburg lebe. Mein einziger Plan wäre es, im kommenden Frühling | |
zurückzukehren …“ | |
Vergangenen Dezember und Januar hatte Kristina ihre neue Kollektion für die | |
Berliner Fashion Week in Kiew produziert. Ihr Label hat keine | |
Auftragsfirmen, sondern besteht aus einem Team von Schnittmacherinnen, | |
Näherinnen, Stickern und Strickerinnen. Sie wollte niemanden wegen des | |
Krieges entlassen und bezahlt weiter das ganze Team. Gearbeitet wird, weil | |
es nachts elektrisches Licht oft nur vom Generator gibt, möglichst bei Tag | |
oder bei Kerzenlicht, weil Handarbeit intensives Fingerspitzengefühl für | |
Garne und Nadeln erfordert. | |
Eines Tages, noch in der Coronazeit, machte Bobkova eine Entdeckung. Da es | |
nicht möglich war, Stoffmessen in Europa zu besuchen, saßen alle zu Hause, | |
man hatte nur die Materialreste alter Kollektionen, aber keine neuen Stoffe | |
und Garne. In Worochta, einem kleinen Ort in den Karpaten, im Südwesten der | |
Ukraine, stieß Kristina schließlich auf eine besondere Art von Upcycling. | |
In Worochta heißt sie „Omas Teppich“. Man strickt oder häkelt mit Resten | |
alter Garne oder anderer Materialien, auch in Streifen geschnittenen | |
Pullovern oder Stoffresten (vor allem elastischem Jersey, der nicht | |
fusselt), die alle eine verschiedene Farbe und Struktur haben. Streifen für | |
Streifen wechselt man dann beim Stricken und Häkeln das Material, fügt eins | |
ans andere. Am Ende entsteht ein gestreiftes und gehäkeltes, farbenfrohes | |
Gewebe. | |
Mit der nachhaltigen Technik aus Worochta sind bei Bobkova nicht nur ganze | |
Outfits gemacht, wie ein langes Cardigan-Kleid oder ein Pullover im | |
Streifendesign. Upgecycelte Elemente werden auch als Einsatz verwendet, in | |
glatt Gestricktes, als Bündchen oder Saum, als Kragen eines Pullovers oder | |
Manschetten. | |
Auf diese Weise entstehen Outfits mit überraschenden Details, in denen eine | |
Vielzahl handwerklicher Techniken gleichzeitig angewandt ist: Sticken, | |
Stricken, Häkeln, Upcyceln, klassische Schnitt- und Nähtechniken, | |
reihenweise gelegte Falten. Bobkova mischt Techniken wie eine DJane die | |
Musikstile. Am Ende aber kommen dabei – das ist ihre hohe Kunst – Kleider | |
aus einem Guss, einer Idee heraus, oft schlicht und sehr tragbar. | |
Ich frage, ob es denn jetzt, während des Krieges, viele UkrainerInnen gibt, | |
die sich Designerkleidung überhaupt leisten können. „In den Kriegsgebieten, | |
die am meisten betroffen sind, tragen die Leute vor allem bequeme Kleidung, | |
oft Trainingsanzüge oder andere strapazierfähige Bekleidung. Man muss | |
jederzeit zur Flucht bereit sein oder sich zu verstecken. Im Vordergrund | |
steht das Überleben und nicht, über Design nachzudenken. In den Großstädten | |
aber ist die Kundschaft immer noch da, manche sind ausgereist nach Europa | |
oder USA und bestellen dann oft von dort.“ | |
Kristina Bobkovas Kollektion heißt „Mriya“. Das ist auf Ukrainisch der | |
Traum. Eingraviert steht das Wort auf drei Ringen aus Messing, in drei | |
Farben: Gelbgold, Rosegold und Silber. Sie werden als Trio getragen, auch | |
an der Kette, Kristina hat sie selbst entworfen. „Mriya“ ist der Traum von | |
wehrlosen und gleichzeitig starken Frauen, die viele Welten bewohnen und | |
vieles können, die leben, überleben wollen, um ein neues, friedliches Leben | |
aufzubauen. | |
28 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Marina Razumovskaya | |
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