# taz.de -- „Ich kann bei einer Geburt nur stören“ | |
> BEGINN Die Gynäkologin Katharina Lüdemann kämpft für die natürliche | |
> Geburt. Aber nicht um jeden Preis. Ein Gespräch über den Mangel an | |
> Geduld, Hirnmenschen und Gipfelerlebnisse | |
INTERVIEW EIKEN BRUHN FOTOS KAY MICHALAK | |
Die Klinik ist nicht der richtige Ort, um sich mit einer Ärztin ungestört | |
zu unterhalten. Also lädt Katharina Lüdemann in ihr Haus in einem Dorf bei | |
Bremen. Beim Eintreten in den Windfang des Altbaus fällt der Blick auf eine | |
Holzskulptur, eine Schwangere. In einer Vitrine in der Diele steht neben | |
Mitbringseln aus Afrika eine weitere aus Ton. „Hat mein Mann gemacht, mit | |
verliebten Augen“, sagt Lüdemann. „Ich war das Modell.“ Vor dem Gespräch | |
zieht sie sich kurz um, sie war eben noch mit dem Rad unterwegs – im | |
strömenden Regen. Am großen Familientisch in der Küche schenkt sie | |
Ingwertee ein. | |
sonntaz: Frau Lüdemann, täuscht der Eindruck, oder haben Sie sehr große | |
Hände? | |
Katharina Lüdemann: Nein, die sind wirklich riesig. Richtige | |
Geburtshelferpranken. Die Hände sind unser wichtigstes Werkzeug. Wenn ich | |
den Bauch einer Schwangeren abtaste, sagt mir das oft mehr als der | |
Ultraschall. Und ich kann damit ein Köpfchen gut stützen, wenn es | |
herauskommt. | |
Das müssen Sie oft nachts tun. Wie ist das, um drei aus dem Bett geklingelt | |
zu werden, um zehn Minuten später im Kreißsaal zu stehen? | |
Die Frage höre ich oft, vor allem von ehemaligen Kollegen: Wie kannst du | |
dir das noch antun? Das Aufstehen würde mir wohl auch schwerer fallen, wenn | |
ich Geburten nicht immer noch so wunderschön fände. | |
Aber die schönen Geburten bekommen Sie als Oberärztin doch gar nicht mit. | |
Sie müssen kommen, wenn es schiefgeht – und können am Ende nur noch einen | |
Kaiserschnitt machen. | |
Nicht immer. Manchmal reicht es, wenn die Hebamme sagt, wir rufen jetzt die | |
Oberärztin an. Das motiviert die Frau, und sie nimmt ihre Kraft zusammen. | |
Aber es stimmt, wenn man das zwanzig Jahre macht und schon viel | |
Schreckliches gesehen hat, besteht die Gefahr, dass man das Natürliche | |
nicht mehr sieht und überall Gefahren wittert. | |
Natürliche Geburt – da wittern viele einen Mutterkult. | |
Mythisch überhöhen sollte man das nicht. Als ich in den Neunzigern nach | |
Afrika gegangen bin, haben mir viele gesagt: Ach, die Afrikanerinnen, die | |
machen nicht so ein Theater, die gebären ihr Kind zwischendurch auf dem | |
Feld. Ich habe dort erlebt, wie viele Frauen und Kinder bei diesen | |
natürlichen Geburten sterben – so wie früher in Deutschland. | |
Aber Sie treten für eine natürliche Geburt ein und arbeiten an einer | |
Kampagne mit, die die Kaiserschnittraten senken will. | |
Ja. Eine spontane Geburt ohne Komplikationen empfinde ich als das für alle | |
Beteiligten beglückendste Erlebnis. | |
Warum? | |
Wenn man einen Berg besteigt oder mit der Bergbahn hinauffährt, kann man | |
sich in beiden Fällen freuen, auf dem Gipfel zu sein. Aber wenn ich allein | |
etwas geschafft habe, habe ich einen unglaublichen Zugewinn an Kraft und | |
kann ganz anders runterschauen. Das ist vielleicht ein abgelatschter | |
Vergleich, aber ich finde ihn sehr treffend. | |
Bei Geburten sagen viele aber: Hauptsache, das Kind ist da, und alle sind | |
gesund. | |
Wenn dem so wäre. Durch den Kaiserschnitt entstehen neue Risiken. Die | |
Kinder haben ein signifikant erhöhtes Risiko, eine Autoimmunerkrankung zu | |
bekommen. Und es treten in einer folgenden Schwangerschaft häufiger | |
Komplikationen auf, an denen auch Kinder sterben. | |
Und was folgern Sie daraus? | |
Ich denke, dass wir uns die Zahlen einfach sehr genau angucken müssen. Die | |
Kindersterblichkeit um die Geburt liegt in Deutschland bei wenigen | |
Promille. Es ist sinnvoll, alles zu tun, um die Zahl noch weiter zu senken, | |
aber die Strategie, die wir bisher angewendet haben, funktioniert offenbar | |
nicht. | |
Was meinen Sie damit? | |
In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Kaiserschnittzahlen und | |
Geburtseinleitungen verdoppelt, doch es sterben immer noch genauso viele | |
Kinder im Mutterleib. Das ist so ähnlich wie mit den Antibiotika. Ärzte | |
verschreiben die, obwohl sie wissen, dass sie in der Hälfte der Fälle nicht | |
angezeigt sind und dass jedes Jahr Tausende an Klinikkeimen sterben, die | |
durch den übermäßigen Antibiotikagebrauch resistent geworden sind. | |
Und Sie sind klüger als andere? | |
Nein, ich weiß doch auch, dass hinter einer Entscheidung zur Sectio oft die | |
Angst steckt, einen Fehler zu begehen – und die haben nirgendwo so | |
katastrophale Folgen wie in der Geburtshilfe. | |
Haben Sie solche Fehler gemacht? | |
Ich habe wie alle, die lange in der Geburtshilfe arbeiten, Entscheidungen | |
getroffen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellten – und viele | |
schlaflose Nächte deswegen gehabt. | |
Und doch greifen Sie seltener als andere zum Skalpell? | |
Das hat etwas mit Erfahrung zu tun. Sehr viele Kaiserschnitte werden wegen | |
vermeintlich schlechter Herztöne gemacht. Dabei kann das einfach bedeuten, | |
dass das Kind sich gerade etwas überlegt oder mit dem Kopf ins Becken | |
rutscht. Wir erleben das jeden Tag: Da kommt das Kind quietschfidel raus, | |
aber die Herztöne waren ganz schlecht. Wir haben bis heute keine | |
Möglichkeit objektiv zu beurteilen, wie es dem Kind im Bauch geht. | |
Aber zwanzig Jahre Erfahrung haben andere doch auch – und halten schlechte | |
Herztöne oder eine sich lange hinziehende Geburt nicht aus. Warum Sie? | |
Sie sind nicht die Erste, die das wissen will. Und ich habe mich auch schon | |
gefragt, ist das jetzt einfach Wuschigkeit oder weil ich keinen | |
Kaiserschnitt will. | |
Sind Sie sehr risikofreudig? | |
Nein, das wäre in meinem Beruf nicht angemessen. Aber ich bin eben auch | |
keine berufsmäßige Bedenkenträgerin. | |
Dann wären Sie nicht mit einem Kleinkind und einem Neugeborenen nach Mali | |
gezogen, oder hätten als Studentin nicht allein ihre erste Geburt im | |
peruanischen Hochland begleitet – ausgerechnet von Zwillingen. | |
Ja, zum Glück wusste ich damals nicht, was bei Zwillingsgeburten passieren | |
kann! Ich habe prinzipiell eine positive Lebenseinstellung, vielleicht weil | |
ich in einer sehr religiösen Atmosphäre aufgewachsen bin. Das prägt, dieses | |
Gefühl, dass alles sinnvoll geordnet ist, auch wenn es sich mir nicht immer | |
erschließt. | |
Noch einmal zum Kaiserschnitt: Sie müssen den als gleichwertige Alternative | |
zur Spontangeburt darstellen. Wie finden Sie das? | |
Wenn ich so alle Geburtskomplikationen vermeiden könnte und es keine neue | |
Risiken gäbe, hätte ich damit weniger Probleme. | |
Wie diskutieren Sie im Kreißsaal pro und contra Sectio? | |
Das geht eigentlich nicht, ich bin aber nach einschlägigen Gerichtsurteilen | |
dazu verpflichtet. Ich muss einer Frau, die fröhlich auf dem Weg zu einer | |
Spontangeburt und streng juristisch gar nicht aufklärungsfähig ist, in den | |
Wehenpausen erklären, dass sich in den nächsten Stunden Schwierigkeiten | |
ergeben könnten und fragen, ob wir es also weiterprobieren oder gleich den | |
Kaiserschnitt machen wollen. So kann ich jede Geburt zur Katastrophe | |
machen. | |
Warum? | |
Die Kunst ist, dass die Frau die Möglichkeit hat, sich in ihrer Welt | |
einzuigeln. Das habe ich bei meinen eigenen Geburten als das Tollste | |
empfunden. Dass selbst so ein Hirnmensch wie ich sich so von den Wehen | |
überwältigen lässt, dass man nichts mehr denken muss und sich auf das | |
Wesentliche konzentriert. Wie ein Viech. In dem Moment, in dem ich die Frau | |
aus diesem Gefühl rausreiße und sie auf einer intellektuellen Ebene | |
anspreche, kann das zu stundenlangen Geburtsstillständen führen, weil sich | |
ein Knoten schnürt, der sich nur langsam auflösen lässt. | |
Messen Sie den Erfolg Ihrer Arbeit daran, ob Sie einen Kaiserschnitt | |
vermeiden konnten? | |
Ich mache das nicht um jeden Preis. Es gibt Situationen, da ist das die | |
Rettung. Das versuche ich auch, den Anti-Kaiserschnitt-Enthusiastinnen nahe | |
zu bringen. | |
Aber? | |
Aber wenn man mit einer Geburt erst einmal angefangen hat, ist es natürlich | |
immer das Ideal, sie auf möglichst wenig dramatischem Weg zu Ende zu | |
bringen. Wir hatten letzte Woche eine Geburt, da hatte die Frau zwei Nächte | |
vorher nicht geschlafen, und die Geburt zog sich über zwei Tage. Da gab es | |
eine Phase von sechs Stunden, wo rein gar nichts passiert ist, weil sie | |
einfach so erschöpft war. Ein Kaiserschnitt wäre die Krönung des Negativen | |
gewesen. Nachdem sie alles gegeben hatte, wäre sie mit dem Gefühl | |
rausgegangen: Ich habe es nicht geschafft. | |
Geht das vielen so? | |
Nach einem ungeplanten Kaiserschnitt fast allen. Wenn man einen geplanten | |
macht, finde ich das oft weniger schlimm. | |
Geschieht das in Vollnarkose? | |
Die ist bei uns die Ausnahme, selbst bei einem ungeplanten. Mir ist es | |
wichtig, dass auch bei einer Sectio die Atmosphäre stimmt. Die Mutter | |
sollte ihr Kind auf dem Bauch haben können, auch im OP. Der Vater oder eine | |
andere Vertrauensperson muss währenddessen dabei sein dürfen, aber es | |
sollten nicht fünf glotzende Praktikanten herumstehen. Und eine Frau spürt, | |
welche Einstellung der Operateur hat. Mich lässt es immer noch schaudern, | |
wenn ich einer Frau den Bauch aufschneide, weil ich das Gefühl habe, ich | |
dringe in ein intimes Reich vor, in dem ich nichts zu suchen habe. | |
Sie denken nach? | |
Ja. Ich sehe darin auch die Gefahr, den Kaiserschnitt zu banalisieren. | |
Schnipp, Bauch auf. Natürlich ist ein geplanter Kaiserschnitt für uns am | |
einfachsten. Das ist eine schöne Operation, die schnell geht, meistens sind | |
hinterher alle zufrieden. Es gibt Studien, die sagen, dass die Frauen nach | |
einem geplanten Kaiserschnitt fast so zufrieden sind wie nach einer | |
komplikationslosen vaginalen Geburt. | |
Eine Freundin erzählte zwei Jahre nach einem geplanten Kaiserschnitt, sie | |
habe sich gefühlt, als wären ihr alle Organe rausgeschnitten worden. | |
Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn die Zufriedenheit erfragt wird, dann | |
geht es um die ersten Tage und Wochen. Wir wissen nicht, was später | |
hochkommt. | |
Manche argumentieren, der Kaiserschnitt sei ein Akt der Selbstbestimmung. | |
Das hat mir gerade gestern eine Frau gesagt, eine alte Aramäerin aus der | |
Türkei. Die meinte, es sei doch gut, dass die Frauen heute eine Wahl | |
hätten. Sie sagte: Wir haben unsere Kinder gekriegt, da hieß es, Mutter hat | |
Kinder gekriegt, Schwiegermutter auch, jetzt mach mal. Es ist ja auch gut, | |
dass Frauen nicht mehr gezwungen sind zur vaginalen Geburt um jeden Preis | |
wie in den Sechzigern. Da gab es regelrechte Kampfgeburten, wo Kinder mit | |
der Saugglocke auf die Welt gezogen wurden, ein traumatisches Erlebnis für | |
Mutter und Kind. | |
Sie sind 1963 geboren – wie war das? | |
Die Geburt muss furchtbar gewesen sein. Ich war ein großes Kind und eine | |
Beckenendlage, lag also mit dem Po nach unten. Als meine Mutter sagte, sie | |
wolle viele Kinder, hieß es: Dann kriegen Sie keinen Kaiserschnitt – wegen | |
der Risiken für folgende Schwangerschaften. Es gab Komplikationen, und ich | |
hatte Krämpfe. Sie dachten, ich sei behindert und sagten zu meiner Mutter: | |
Dann kriegen Sie halt ein neues. Dass die meisten Frauen heute nur noch ein | |
oder zwei Kinder kriegen, lässt die Risiken eines Kaiserschnitts geringer | |
erscheinen. | |
Und die mangelnde Erfahrung junger Ärzte. | |
Sie haben kaum die Gelegenheit zu lernen, wie man eine schwierige Geburt zu | |
Ende bringt. Da ist es mir lieber, jemand entscheidet sich für einen | |
Kaiserschnitt als seine erste Zangengeburt zu probieren. | |
Hätten Sie so etwas früher auch gesagt? Waren Sie missionarischer? | |
Nicht in Bezug auf die Sectio. Aber wenn Frauen nicht stillen wollten, ja. | |
Was haben wir früher als kinderlose Assistenzärztinnen die Frauen im | |
Wochenbett mehr oder minder zu Gesprächen übers Stillen genötigt! Das ist | |
ein Hineinregieren in Lebensbereiche, der mir nicht zusteht. | |
Und was machen Sie, wenn eine den Kaiserschnitt verlangt? | |
Das passiert nur sehr selten. Wir verweisen dann auf die Möglichkeit, sich | |
beraten zu lassen. Fast immer hatten diese Frauen eine traumatische erste | |
Geburt oder sexuelle Gewalt erlebt, so dass ihnen die Kontrolle über den | |
eigenen Körper wichtig war. | |
Und wenn eine Frau während der Geburt sagt, sie kann nicht mehr? | |
Das sagt fast jede! Wenn man danach gehen würde, hätten wir eine | |
Kaiserschnittrate von hundert Prozent. Da ist es meine Aufgabe, wieder Ruhe | |
reinzubringen, dann hat sie oft in einer halben Stunde ihr Kind. Das | |
Schlimmste, was passieren kann, sind aufgeregte Geburtshelfer. Das | |
überträgt sich. Manchmal sind es allerdings auch die Angehörigen, die es | |
nicht aushalten, dass die Geburt aus ihrer Sicht nicht vorankommt. Neulich | |
hatten wir einen werdenden Vater, der hat die Eltern seiner Frau angerufen, | |
dann standen die zu dritt hier und haben gesagt: Jetzt sofort einen | |
Kaiserschnitt, wir schauen uns das nicht länger an. | |
Können Sie als Ärztin etwas anderes machen als zuschauen? | |
Nein, das ist die Kunst und das, was der klassischen Medizin so schwer | |
fällt. Man kann ganz viel motivieren oder auch mal Hilfeleistungen geben. | |
Aber im Prinzip kann ich den Verlauf einer Geburt nur stören durch | |
Interventionen. | |
Aber die meisten gehen doch in die Klinik, weil sie sich nicht zutrauen, | |
ohne ärztliche Hilfe ein Kind zu gebären. | |
Das laste ich auch der pseudofrauenfreundlichen Geburtshilfe an. Heute sagt | |
jede Klinik: Wir machen alles, was ihr wollt. Und zusätzlich bieten wir | |
Homöopathie an und geburtsvorbereitende Akupunktur. Das suggeriert der Frau | |
doch wieder, dass sie es allein nicht packt. Die Frauen sind sehr | |
verunsichert. Wir erleben es immer wieder, dass am Wochenende Frauen, die | |
gerade einen Schwangerschaftstest gemacht haben, in die Klinik gespeedet | |
kommen, weil sie es nicht drei Tage aushalten, bis sie den Frauenarzttermin | |
haben. Sie wollen von außen die Bestätigung haben. | |
Zum Beispiel durch Ultraschallbilder: Haben Sie in Ihren Schwangerschaften | |
darauf verzichtet? | |
Nein, ich fand das toll! Wenn ich Nachtdienst hatte, habe ich jedes Mal | |
geguckt, ob das Kind noch da ist. Jedenfalls solange es sich nicht bewegt | |
hat. Ich war dabei aber allein mit meinem Kind, ich habe das als etwas sehr | |
intimes empfunden. Mir ist es fremd, wenn Leute die Bilder per Mail | |
verschicken. Ich habe immer noch Ehrfurcht, wenn ich das Ultraschallgerät | |
auf den Bauch einer Schwangeren lege. | |
Können Sie sich die Abhängigkeit von äußerer Kontrolle erklären? | |
Ja, wir haben verlernt, auf unsere Gefühle zu hören, weil wir im Alltag so | |
damit beschäftigt sind, das niederzuknüppeln, damit wir gut funktionieren. | |
Und die Schwangerenvorsorge, die überall nur Risiken sieht, macht es nicht | |
besser. Erst gestern kam eine Frau, die sagte, ich habe nur noch ganz wenig | |
Fruchtwasser, und der Frauenarzt sagt, die Geburt muss eingeleitet werden. | |
Dann untersuchen wir sie, es sieht gar nicht so schlimm aus, und wir würden | |
ihr gern noch ein bisschen Zeit geben. Aber sie sagt: Mein Arzt macht sich | |
Sorgen und ich jetzt natürlich auch. | |
Was machen Sie dann? | |
Da kann ich nicht mehr sagen, ach, jetzt gehen sie mal ganz entspannt nach | |
Hause, und wir gucken übermorgen noch mal. Ich möchte ihr Vertrauen zu | |
ihrem Arzt nicht untergraben. Also bekommt sie ein geburtseinleitendes | |
Medikament, und ich hoffe, dass es funktioniert. Wenn nicht, schläft sie | |
schlecht, weil sie nachts diese hässlichen Wehen bekommt, die aber nicht | |
den Muttermund öffnen. Am nächsten Morgen ist sie demotiviert und | |
erschöpft. Optimale Voraussetzungen, um in eine scheußliche Geburt | |
hineinzuschlittern, die dann mit Saugglocke oder Kaiserschnitt endet. | |
Das spricht alles nicht für Kliniken als Geburtsort. | |
Es gibt viele Untersuchungen, die sagen, mit einer komplikationslosen | |
Geburt ist man im Geburtshaus am besten aufgehoben. Unter der | |
Voraussetzung, dass für die seltenen unvorhersehbaren Notfälle eine Klinik | |
erreichbar ist. | |
Sie selbst sind beim zweiten und dritten Kind ins Geburtshaus gegangen. | |
Ich dachte, am Ende kommt jemand und stört mich, so wie ein Kollege, der | |
kurz vor meiner dritten Geburt zu mir sagte, in meinem Alter sei das ja | |
auch alles nicht mehr so leicht. Ich hatte das Bedürfnis, mich | |
zurückzuziehen. | |
Sie arbeiten in einer hochtechnisierten Klinik, wo zwar nicht wie im | |
Bundesdurchschnitt jede dritte, aber jede vierte Geburt ein Kaiserschnitt | |
ist. Was hält Sie dort? | |
Moment, ich arbeite gern in der Klinik! Ich operiere gern und profitiere | |
vom Austausch mit meinen Kollegen. Ich finde es gut, auch eine andere | |
Perspektive als meine eigene sehen zu können – wir sind uns ja längst nicht | |
immer einig. | |
Und aus Schwangerensicht? | |
Die Klinik ist nicht an sich ein schlechter Geburtsort, es sind die | |
Bedingungen, unter denen Geburtshilfe dort oft stattfindet, weswegen ich | |
auch schon Stellen gekündigt habe. Weil die Geburtshilfe für Kliniken oft | |
nicht rentabel ist, wird am Personal gespart. Hebammen müssen zwischen zwei | |
oder drei Kreißsälen hin und her rennen. Und es gibt immer weniger | |
kompetente Ärzte und Ärztinnen, die sich für das Fach entscheiden und | |
bereit sind, Nachtdienste zu leisten. Meine Entscheidung für ein | |
Geburtshaus war für mich richtig, aber vielleicht nicht für eine andere | |
Frau. Dafür kämpfe ich: dass Frauen in der Umgebung gebären können, die für | |
sie persönlich gut ist. | |
■ Eiken Bruhn, 38, taz-Redakteurin, findet Aufstiege wunderschön. Den | |
Wunsch nach einer Bergbahn kann sie dennoch nachvollziehen | |
■ Kay Michalak, 44, würde sich Katharina Lüdemann sofort als Patient | |
anvertrauen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist | |
19 May 2012 | |
## AUTOREN | |
EIKEN BRUHN | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |