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# taz.de -- das wird: „Die Erzählung des Einzeltäters brechen“
> Im Buch „Der Halle-Prozess“ kommen Anschlagsopfer zu Wort
Interview Ann-Christin Dieker
taz: Das Buch „Der Halle-Prozess“ beinhaltet die fotografische Serie
„Anmerkungen“, die der Künstler Arne Schmitt für diesen Band erarbeitet
hat. Warum war die Ihnen wichtig?
Jakob Schreiter: Wir wollten verschiedene Zugänge zum Thema zeigen. Da war
dann klar, dass es auch eine künstlerische, beziehungsweise visuelle
Perspektive geben soll. Arne Schmitt hat dann dieses Konzept mit uns
entwickelt. In dem Vortrag in Bremen wird es unter anderem um die Fragen
gehen: Wie bebildert man Erinnerung? Kann man so etwas überhaupt in Bilder
fassen? Diese Herausforderung zu bewältigen ist meiner Meinung nach sehr
gelungen.
… wie gelungen?
Die Fotos sorgen für einen Moment des Innehaltens. Deswegen ist die Serie
auch so zentral in der Mitte des Buches. Sie bietet einen Blick in die
jüdische Geschichte in Halle und auf eine Kontinuität rechter und
antisemitischer Gewalt. Ich glaube, alle, die das Buch bisher in die Hand
genommen haben, haben sie als Überraschung erfahren.
Das Buch ist ein Anschlussband zur Dokumentation des Gerichtsprozesses um
den Anschlag von 2019. Der rechtsextreme Täter griff in Halle an der Saale
am jüdischen Feiertag Jom Kippur zunächst eine Synagoge, dann einen
nahegelegenen Döner-Imbiss an. Wann wurde klar, dass ein zweiter Band
folgen muss?
Der erste Band stammt von Democ, einer NGO, die den ganzen Prozess minutiös
protokolliert hat. Irgendwann wurde klar, dass es nicht richtig möglich
ist, in dieser Dokumentation noch einmal auf einige Forderungen der
Betroffenen einzugehen. Da war kein Raum für Unstimmigkeiten, Kritik oder
andere Perspektiven. Im Zuge dessen wurde dann diese Idee geboren, einen
zweiten Band herauszubringen.
Wie geben Sie diesen Raum?
Rebecca Blady, die sich während des Anschlags in der Synagoge befand,
schreibt über ihre Zeugenaussage vor Gericht und das Familientrauma, unter
dem sie und andere Jüd*innen leiden. Auch Sabrina Slipchenko, eine
Überlebende des Anschlags, schreibt über das Sprechen und das Schweigen der
Betroffenen. Wir enden das Buch mit einem Interview mit Abdi Raxmaan Aftax
Ibrahim. Der Täter fuhr ihn auf seiner Flucht mit dem Auto an. Der
versuchte Mord an Ibrahim wurde nur als Verkehrsdelikt gehandelt – eine
große Leerstelle des Verfahrens.
Also liegt der Fokus auf den Perspektiven der Opfer?
Neben den Betroffenen haben wir noch Stimmen von Aktivist*innen,
Wissenschaftler*innen und Expert*innen im Bereich rechte Gewalt,
aber auch von Anwält*innen der Nebenklage. Zum Beispiel Ilil Friedmann,
die auch auf diese große Leerstelle des Prozesses hinweist: Der Rassismus,
der nicht anerkannt wurde. Wir haben in dem Buch sozusagen beide
Perspektiven aus dem Verfahren. Die der Betroffenen und derer, die sie
juristisch vertreten, und wir dokumentieren außerdem die enorme Leistung
der Nebenklage, die gezeigt hat, wie politisch, wie selbstbewusst und
selbstbestimmt sie in einem Prozess agieren kann.
Wie wichtig ist es, dass diese Bücher erschienen sind?
Extrem. Diesen Band herauszugeben war eine sehr lange, zehrende Arbeit.
Aber der Anschlag verschwindet einfach immer mehr aus der öffentlichen
Debatte. Mir ist es wichtig, dass diese Tat besprochen wird und man sie
nicht vergisst. Ein Gedenken darf nicht nur in Halle, gerade noch so zum
Jahrestag passieren. Wir müssen immer wieder auf diese Themen schauen. Mit
dem Urteil von 2020 wurde nur über die juristische Schuld entschieden.
Alles weitere muss innerhalb der Zivilgesellschaft diskutiert werden.
3 Feb 2023
## AUTOREN
Ann-Christin Dieker
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