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# taz.de -- das wird: „Wir entwickeln uns in eine Gesellschaft der Selbsterha…
> In Zukunft geht es um Stabilisierung: Philipp Staab hat ein Buch über
> Anpassung als Leitmotiv geschrieben
Interview Paul Weinheimer
taz: Herr Staab, Ihr aktuelles Buch erkennt in der Anpassung ein Leitmotiv
einer neuen Gesellschaft. Woran müssen wir uns anpassen?
Philipp Staab: Wir müssen uns an eine ganze Reihe unterschiedlicher Krisen
anpassen. Gerade die vergangenen Jahre zeigen das: Pandemie,
klimainduzierte Krisen und natürlich auch Krieg und Energiekrise. Heute ist
nicht mehr davon auszugehen, dass diese Krisen reine Übergangsphänomene
darstellen. Denn selbst wenn wir in Bezug auf den Klimawandel heute alles
richtig machen, werden wir uns trotzdem massiv anpassen müssen. Der
Dürresommer in Deutschland ist der Effekt von 1,3 Grad. Das heißt: Auch
wenn wir unter zwei Grad bleiben, werden wir mit Krisen dieser Art öfter zu
tun haben.
Wie würde eine Gesellschaft aussehen, in der Anpassung das Hauptziel ist?
Die Art und Weise, wie man sich anpasst, kann sich unterscheiden und
insbesondere verändern. Vor allem auf politischer Ebene. Lange Zeit haben
wir uns vorgestellt, dass es bei solchen Problemen darum geht, Dinge weiter
zu demokratisieren.
Aber?
Die Leute wollen teilweise nicht mehr darüber diskutieren. Die
Klimabewegung möchte nicht mehr über das 1,5-Grad-Ziel verhandeln. Aus
guten Gründen. Sie fordern, dass das politische Handeln in diesem
Zusammenhang funktioniert. Das heißt, wir haben es mit einer starken
Nachfrage nach staatlicher Steuerung zu tun.
Hat die Demokratie in einer Gesellschaft der Anpassung abgedankt?
Das glaube ich nicht. Vielmehr entwickeln wir uns von einer Gesellschaft
der Selbstentfaltung in eine der Selbsterhaltung. Das wirft natürlich auch
neue politische Fragen auf. Wie eine solche Demokratie aussehen wird, ist
eine offene Frage.
In welche Richtung geht das?
Sie muss sicherlich viel stärker das Bedürfnis nach Schutz und nach
Sicherung bedienen. Wir wären, glaube ich, falsch beraten, wenn wir
Selbsterhaltungsfragen in einer massiven Art und Weise demokratisieren.
Stellen Sie sich vor, bei der Triage während der Pandemie würde deliberativ
darüber abgestimmt werden, wer ein Beatmungsgerät bekommt. Überall in der
Demokratie gibt es Dinge, über die wir nicht mehr diskutieren. Deswegen
haben wir beispielsweise auch eine Verfassung.
Was passiert dann mit dem Versprechen der Moderne auf Selbstverwirklichung?
Bei Selbstverwirklichung muss man sich klarmachen, dass wir nicht nur über
Gewinne sprechen. Auch Überforderung, Erschöpfungssyndrome, die Ausbeutung
am Arbeitsmarkt sind Teil davon. Es kann somit auch etwas Gutes haben, wenn
eine Gesellschaft sich auf die essenziellen Probleme konzentriert. Das ist
eine gute Chance, seine Kräfte für Sinnvolles zu bündeln.
Aber gerade deswegen wird doch von einigen an das „Ich“ appelliert.
Das „Ich“ kann dabei nicht immer zuerst stehen. Nach dem Motto: Wer mir im
Weg steht, behindert meine Freiheit. Wichtig ist die Entwicklung zu einer
Gesellschaft, in der Freiheit stärker sozial und solidarisch gedacht wird,
um zu verstehen, dass wir nur gemeinsam die großen Probleme dieses
Jahrhunderts bewältigen können.
Statt sich anzupassen, sehen viele die Technik als Lösung des Problems. Was
sagen Sie dazu?
Wir werden technologische Innovationen da, wo sie sinnvoll sind, massiv
brauchen. Die Menschen wünschen sich eine Entpolitisierung von
Selbsterhaltungsfragen. In einer Welt, in der das keine Kirche mehr
versprechen kann, verspricht es die Technologie: Wir lösen das für euch.
Aber die ganze Idee der Lösung ist, glaube ich, für das Zeitalter, in dem
wir uns befinden, nicht mehr richtig. Es geht darum, sich in die Lage zu
versetzen, Dinge adaptiv zu bearbeiten und dabei die richtigen Prioritäten
zu setzen.
Gibt es bei der Anpassung nicht eine Menge Liebgewordenes zu verlieren?
Erst mal gibt es etwas zu gewinnen. Ohne Selbsterhaltung gibt es nämlich
keine Freiheit. Es ist in gewisser Weise so einfach. Wachsende
Ungleichheit, die schockierende Unfähigkeit von politischen Institutionen,
der ausufernde globale Kapitalismus: All das sind unter anderem Triebfedern
von Selbstverwirklichungsüberforderungen der Einzelnen. Auch diese Dinge
würden wir verlieren, wenn wir beginnen, mit den Selbsterhaltungsproblemen,
die uns eigentlich implizit beängstigen, ernsthaft ins Geschäft zu gehen.
Insofern gibt es nicht weniger als die Realität zu gewinnen.
30 Jan 2023
## AUTOREN
Paul Weinheimer
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