# taz.de -- Wirtschaft im Wandel: Die Ente des Kapitalismus | |
> Grünes Wachstum oder Schrumpfen der Wirtschaftsleistung – und wenn ja, | |
> wie genau? Solange beide Lager ihren blinden Fleck ignorieren, ist es | |
> schwierig, über die wirtschaftlichen Vorausetzungen einer | |
> 1,5-Grad-Politik zu diskutieren. | |
Bild: Dagobert Duck ist „die reichste Ente der Welt“ | |
Von [1][MARTIN UNFRIED] | |
Ein Wirtschaftsmodell ohne fossile Brennstoffe, mit geschlossenen | |
Materialkreisläufen und Erhaltung der Biodiversität, das ist die zentrale | |
Transformation, die jetzt passieren muss, global und in der EU. Aber wie | |
soll das gehen im Kapitalismus, in der sozialen Marktwirtschaft mit oder | |
ohne Wachstum? Das Interesse, ich will nicht sagen, Überlebensinteresse der | |
Leute an diesen Fragen ist groß, das zeigt die Aufmerksamkeit, die neue | |
Bücher von Achim Wambach, Jason Hickel, Ulrike Herrmann, Niko Paech und | |
Maja Göpel erfahren. Die Analysen, warum die bisherige Politik nicht | |
ausreicht, sind dabei meistens stichhaltig und beziehen sich auf die großen | |
Herausforderungen des Pariser Abkommens. Für die EU bedeutet das | |
Klimaneutralität bis 2050. In Deutschland handelt es sich laut | |
Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP um das Ziel, »Deutschland auf den | |
1,5-Grad-Pfad zu bringen«. Es geht also nicht um radikale Utopien und | |
Visionen, sondern um die praktische Frage der Umsetzung offizieller Ziele | |
auf allen Ebenen. | |
Deshalb wäre es sehr hilfreich, von Ökonomen zu hören, wie | |
1,5-Grad-Wirtschaftspolitik konkret aussehen könnte. Und zwar von beiden | |
Schulen: von denen, die dafür grünes Wachstum voranbringen wollen (Wind | |
statt Kohle, Elektro- statt Dieselauto), und von jenen, die weniger | |
Wachstum propagieren, weniger Autos, weniger Neubau, also Schrumpfung. | |
Achim Wambach schwört auf Preissignale durch Emissionshandel. Der Professor | |
für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim hat es mit seinem | |
Buch Klima muss sich lohnen in viele Medien geschafft. Das Buch bietet eine | |
Fülle an Informationen, wie der Emissionshandel und andere europäische und | |
nationale Instrumente funktionieren und besser wirken könnten, um grünes | |
Wachstum zu stimulieren. Eher billig ist sein etwas abgenutzter | |
Medientrick: Flugverzicht nach Barcelona? Hilft dem Klima überhaupt nicht. | |
Photovoltaikanlage zu Hause: kein Gewinn fürs Klima! Wambach argumentiert, | |
dass es im europäischen Emissionshandel einen Wasserbetteffekt gäbe. Das | |
bedeutet: Wenn ich Ökostrom produziere, verringere ich damit nicht die Zahl | |
der Zertifikate, sondern diese werden in der EU dann beispielsweise in | |
einem Kohlekraftwerk verfeuert. Technisch stimmt das, da die Anzahl der | |
Zertifikate und damit die Emissionen in der EU im Fall der Energieerzeugung | |
festgelegt sind. | |
Mit diesem Argument haben in den letzten Jahrzehnten schon viele Volkswirte | |
(und mit ihnen die FDP) und alle weiteren Interventionen des Staates für | |
Klimaschutz als Blödsinn entlarven wollen, zuvorderst das | |
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Den Aufbau der Erneuerbaren hätte es | |
aber ohne EEG nicht gegeben, da der Emissionshandel lange nicht | |
funktionierte, um entsprechende preisliche Anreize zu bieten. Das ist auch | |
in der Zukunft alles andere als gesichert. Und überhaupt gelingt die | |
jährliche Absenkung der Emissionen nur mit dem einkalkulierten ehrgeizigen | |
Ausbau der Erneuerbaren. Die sind eine unerlässliche Voraussetzung des | |
Gelingens des Emissionshandels. Dennoch erklärt Wambach unbeeindruckt, für | |
den Umstieg auf Elektroautos sei ein Verbrennerverbot wesentlich teurer als | |
ein hoher CO2-Preis. Wenn sich Klimaschutz durch hohe Zertifikatpreise auch | |
im Verkehr und Gebäudebereich lohne, dann würde der Markt es richten, | |
brauche es keine Verbote, wie im Fall von Gas- und Ölheizungen. Das klappte | |
bisher nur in der Theorie. In der politischen Wirklichkeit (siehe | |
Deutschland) haben sich Regierungen und EU an entsprechend hohe | |
Emissonspreise nicht herangewagt. Es ist nicht deutlich, wie der soziale | |
Ausgleich strukturell verankert werden kann. Und Wachstum? Die Entkopplung | |
von Wachstum und CO2-Emissionen hat laut Wambachs Zahlen in der EU bereits | |
begonnen, grünes Wachstum führt also zu Klimaschutz. | |
## Grünes Wachstum oder Degrowth? | |
Es ist frappant, mit welcher intellektuellen Leichtigkeit hier | |
grundsätzliche Fragen der Transformation mit Blick auf Material und | |
Ressourcenverbrauch, Ungleichheit und Wachstumszwänge komplett ausgeblendet | |
werden. Es ist höchste Zeit, dass die Vertreter des grünen Wachstums die | |
Schwachstellen des eigenen Ansatzes offen benennen und mögliche Lösungen | |
diskutieren. | |
Ihre Grundannahme der Entkopplung von Wachstum und Emissionen, Natur- und | |
Ressourcenverbrauch ist schließlich heftig umstritten. Empirisch zeigen | |
viele Studien, dass es global nicht nach Entkopplung aussieht. So wäre wohl | |
ein konstruktives Gespräch mit dem britischen Ökonomen Jason Hickel kaum | |
möglich. Der gehört mit seinem aktuellen Buch Weniger ist mehr zur | |
Degrowth-Schule und leider ebenso zu den Vereinfachern. Klimaschutz gehe | |
nur mit weniger Material- und Energiefluss im Einklang mit den | |
planetarischen Grenzen. Entkopplung sei im weltweiten Maßstab weit und | |
breit nicht in Sicht. Hickel beschreibt (wie bereits vor Jahren Tim | |
Jackson) eine Wirtschaft im Übergang, die kein Wachstum mehr brauche, ohne | |
negativen Einfluss auf das menschliche Wohlergehen. Die konkreten Schritte: | |
Obsoleszenz beenden, also die geplante Kurzlebigkeit von Produkten, damit | |
Produkte länger leben. Werbung zurückfahren, damit der Konsumwahn abnimmt. | |
Teilen statt besitzen, zur Schonung von Ressourcen. | |
Lebensmittelverschwendung beenden, ökologisch schädliche Industrien | |
herunterfahren. | |
Nicht wirklich orginell und umfassend. Alles bekannt aus dem Werkzeugkasten | |
der Degrowth-Ökonomen. Was allerdings nicht vertiefend analysiert wird, | |
sind die unmittelbaren Effekte auf den Staatshaushalt und die Finanzierung | |
von staatlichen Leistungen wie Renten, Sozialleistungen, Unterricht, | |
Forschung und Infrastruktur. Da wird bei den Degrowth-Leuten sehr einfach | |
gestrickt: Gegen steigende Arbeitslosigkeit hilft Arbeitszeitverkürzung. | |
Und zur Finanzierung von anständigen Löhnen und staatlichen Leistungen gäbe | |
es ja die Umverteilung. Eine wichtige Frage wird komplett ausgeblendet: Wie | |
soll ein potenziell schrumpfendes System auf einem bestimmten Niveau | |
stabilisiert werden können, damit es nicht immer weiter schrumpft? | |
In dieser Frage würde Hickel sich heftig mit der taz-Journalistin Ulrike | |
Herrmann streiten, die ebenfalls davon ausgeht, dass es ein grünes Wachstum | |
nicht geben kann. Allerdings auch nicht den stabilen Degrowth-Zustand. | |
Damit zertrümmert sie die Mythen der beiden Lager. Herrmann basiert ihre | |
Hauptaussage in ihrem Bestseller Das Ende des Kapitalismus auf der Arbeit | |
des Schweizer Ökonomen Mathias Binswanger (Der Wachstumszwang, 2019). Der | |
stellt nüchtern fest, dass Wachstum von Krediten abhängig sei und diese nur | |
zurückgezahlt werden könnten, wenn es weiteres Wachstum gebe. Im | |
Kapitalismus gebe es kein stabiles Nicht-Wachsen. Wenn ein Unternehmen | |
nicht wachse, bestehe immer die Gefahr des Absturzes. Genauso argumentiert | |
Herrmann gegen den Postwachstums-Traum. Sobald die Einkommen fielen, fresse | |
sich die Krise unkontrolliert durch sämtliche Branchen. | |
## Die Makroökonomie für eine Postwachstumsgesellschaft fehlt bisher | |
Auf dieses Problem hat auch Niko Paech keine Antwort. So brilliant seine | |
Analysen der Wachstumswidersprüche sind (im jüngsten Buch mit Katja | |
Gentinetta: Wachstum?), so einfach sind seine konkreten Vorstellungen einer | |
schrumpfenden Wirtschaft: weniger globale und technisierte | |
Wertschöpfungsprozesse, weniger Kapitaleinsatz und weniger Produktivität | |
durch »regionalwirtschaftliche« und »arbeitsintensivere« Wirtschaftsformen. | |
Wie dieses genaue Gegenteil heutiger wirtschaftspolitischer Rezepte | |
stabiles Wirtschaften möglich machen soll, wird nicht konkret beschrieben. | |
Da hilft auch nicht das konsumkritische Mantra, immer mehr mache sowieso | |
nicht glücklich. | |
Wie könnte denn konkret die europäische Wettbewerbspolitik, der | |
Binnenmarkt, die Handelspolitik et cetera im Sinne einer solchen | |
Postwachstumsökonomie erfolgreich oder zumindest erträglich umgebaut | |
werden? Und wie hält man während des Übergangs den Laden zusammen, wie | |
gewinnen Parteien dafür politische Mehrheiten? Ulrike Herrmann hat mit | |
ihrer umfassenden Kritik an der Zunft der Ökonomen recht: Es gibt bisher | |
keine ausgearbeitete Makroökonomie für eine Postwachstumsgesellschaft. Und | |
Gleiches gilt sicher für eine Strategie des grünen Wachstums, die | |
planetarische Grenzen ernst nimmt. Leider ist Herrmanns eigene | |
Schlussfolgerung, es brauche für konsequenten Klimaschutz eine Art | |
Kriegswirtschaft wie in Großbritannien zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges, | |
zwar orginell, aber eine Art wirtschaftspolitische Kapitulation. Der Staat | |
müsse vorgeben, was und wie viel produziert werde (erneuerbare Energien, | |
Wärmepumpen et cetera) und welche Produktion eingestellt wird (etwa Autos). | |
Warum allerdings dieses verordnete Schrumpfen bisher wichtiger | |
Wirtschaftsbereiche nicht ins gesellschaftliche Chaos führen wird oder in | |
die heftige Verschuldung (wie damals im Fall der Briten), bleibt unklar. | |
Ebenso, warum das alles das Ende des Kapitalismus sein soll, wie der Titel | |
zu unrecht behauptet. Herrmanns Klimakriegswirtschaft soll schließlich | |
explizit kein Ökosozialismus sein. Im Grunde wäre es eher eine Art gelenkte | |
Marktwirtschaft nach chinesischem Modell, wo der diktatorisch agierende | |
Staat sehr direkt das Schrumpfen und Wachsen verschiedener Sektoren | |
vorgibt. Damit wäre aber der Wachstumszwang eben nicht überwunden, | |
insbesondere wenn der globale Wettbewerb nicht komplett gekappt wird. | |
Wer sich der Komplexität dieser Transformation wirklich stellen will, der | |
sollte das neue Buch von Maja Göpel lesen: Wir können auch anders. Die | |
Politökonomin und Transformationsforscherin untersucht die | |
Anschlussfähigkeit verschiedener Teilsysteme an die notwendige | |
Klima-Transformation. Auch sie empfiehlt, dass wir besser wissen sollten, | |
warum unser heutiges Wirtschaftssystem nicht hält, was es verspricht. Und, | |
möchte man hinzufügen: in welche Richtung tatsächlich umgebaut werden | |
sollte. | |
Wenn man die Diskussionslage zum Umbau der Wirtschaft bewerten will, dann | |
sind die Wachstumskritiker bis heute überraschend unpolitisch. Sie machen | |
sich nicht einmal die Mühe zu erklären, wie ihr Schrumpfmodell im | |
Mehrebenensystem zwischen UN, EU, Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen | |
funktionieren soll und wie dafür gesellschaftliche und politische | |
Mehrheiten entstehen könnten. In diesem Sinne haben die Vertreter des | |
grünen Wachstums (trotz ihres blinden Flecks der ausbleibenden Entkopplung) | |
einen Punkt: Sie machen zumindest Vorschläge im Rahmen der Realitäten der | |
heutigen Marktwirtschaft und laufender demokratischer Prozesse, inklusive | |
der Frage nach der Anschlussfähigkeit. Es ist zwingend nötig, dass sich die | |
Degrowth-Vertreter die Mühe machen, ihre Vorstellung von Wirtschaft ebenso | |
daran zu messen. | |
[2][MARTIN UNFRIED] ist Politologe und arbeitet an der Universität | |
Maastricht. | |
5 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Martin Unfried | |
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