# taz.de -- Stadtgespräch Ralf Leonhard aus Wien: Klima, Kleben, Fernsehdiskus… | |
Alles war ungewöhnlich an diesem Auftritt vor der Presse: Die Uhrzeit, der | |
Ort und die Anzahl der Teilnehmenden. 40 österreichische Wissenschaftler | |
und Wissenschaftlerinnen nahmen vergangenen Dienstag um 8 Uhr Früh bei | |
kaltem Nieselregen unter dem Tegetthoff-Denkmal am Wiener Praterstern | |
Aufstellung, um sich mit der Last Generation zu solidarisieren. Günter | |
Emberger von der Technischen Universität Wien fand es seltsam, dass | |
Wissenschaftler „zu solchen Aktionen greifen müssen, damit die Berichte, | |
die wir verfassen, ein Gehör finden und die Medien darauf aufspringen.“ | |
Welche Aktionen er meinte, sollte sich bald zeigen. | |
Der Praterstern ist Österreichs größter Kreisverkehr. Der Autolärm war | |
zeitweise so laut, dass man trotz Gebrauchs des Mikrophons die Stimmen der | |
Männer und Frauen der Wissenschaft kaum hörte. Besonders, als mit Tatütata | |
die Polizei des Wegs kam und begann, eine Gruppe von Klima-Aktivisten von | |
der Praterstraße zu entfernen. Eine Gruppe von jungen Männern und Frauen in | |
gelben Warnwesten hatte sich auf den Zebrastreifen gesetzt und hielt den | |
Morgenverkehr auf. | |
Tags zuvor hatte die Last Generation am Franz-Josephs-Kai am Rande der | |
Innenstadt eine Woche des Aktivismus mit Straßensperren begonnen. Mit | |
großer Routine löste die Polizei den Sitzstreik binnen weniger Minuten auf. | |
Gegen Sekundenkleber hilft Nagellackentferner. Der Zweck war erreicht. | |
Der Aktionswoche war eine längere Vorbereitung vorausgegangen. In | |
Trainingseinheiten hatten die Freiwilligen geübt, wie sie | |
Verkehrsknotenpunkte möglichst gefahrlos lahmlegen können. Abwarten, bis | |
die Autos vor der roten Ampel stehen bleiben müssen, Warnwesten tragen und | |
konkrete Forderungen auf gut lesbaren Transparenten hochhalten. Für | |
Einsatzfahrzeuge und ärztliches Personal im Dienst immer eine Rettungsgasse | |
frei lassen. Geübt wurde auch, wie man sich von der Polizei | |
abtransportieren lässt. Da gibt es das „kompakte Paket“ mit verschränkten | |
Armen unter den gekreuzten Beinen, was die Verletzungsgefahr minimiert, und | |
die „Gummipuppe“, also das Verharren mit schlaffen Gliedmaßen, was für | |
spektakulärere Bilder beim Wegschleppen sorgt, aber zu Verletzungen führen | |
kann. Wer will, klebt sich mit einer Hand am Asphalt fest. | |
Einer der zentralen Slogans ist „Tempo 100 auf der Autobahn“. Günter | |
Emberger, Professor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, hat das im | |
Selbstversuch seit mehr als einem Jahr praktiziert: „Ich fahre 100 auf der | |
Autobahn und 80 auf der Straße und ich kann Ihnen sagen, ich spare über 20 | |
Prozent des Treibstoffs.“ Das könne zwar jeder freiwillig machen, doch | |
staatlich verordnete Tempolimits seien besser. | |
Ihren Zweck haben die Proteste nur teilweise erreicht: es wird darüber | |
gesprochen. In den Spätnachrichten im ORF durfte die 30-jährige | |
Molekularbiologin und Klimaaktivistin Martha Krumpeck mit der annähernd | |
gleichaltrigen Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) diskutieren. | |
Stramme Parteisoldatin, die sie ist, zeigte Plakolm keinerlei Verständnis | |
für die „Klima-Chaoten“ und wischte die Forderung nach Tempo 100 auf der | |
Autobahn mit einem Lächeln weg: „Ich bin der Meinung, dass wir weniger mit | |
Verboten arbeiten sollten“. Im Übrigen etwas kryptisch: „wir haben ein | |
eigenes Kapitel im Regierungsprogramm, wo auch noch einiges in der Pipeline | |
sein wird.“ | |
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die bei den | |
Landtagswahlen Ende Januar ihre absolute Mehrheit zu verlieren droht, hat | |
in ihrem Bundesland zwar noch keinen Klimaprotest erlebt, spielt aber die | |
Eiserne Lady und fordert Haftstrafen für Protestformen, die bisher als | |
Ordnungswidrigkeiten mit Geldbußen geahndet werden. Dem Klima und einer | |
Versachlichung der Debatte dürfte damit wenig geholfen sein. | |
14 Jan 2023 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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