# taz.de -- das wird: „Wichtig ist, zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren… | |
> In der Marktkirche Hannover thematisiert eine Reihe den Antisemitismus | |
> von Verschwörungserzählungen als ein Problem der gesamten Gesellschaft | |
> und beleuchtet es aus verschiedenen Perspektiven | |
Interview Ann-Christin Dieker | |
taz: Frau Rudnick, was hat Sie dazu bewegt, die Veranstaltungsreihe über | |
Verschwörungserzählungen ins Leben zu rufen? | |
Ursula Rudnick: Die Reihe reagiert auf den Anstieg von Antisemitismus in | |
der letzten Dekade. Die Veranstaltungen fokussieren das Thema | |
Antisemitismus im Bereich der Verschwörungserzählungen, die in den | |
vergangenen Jahren erheblich zugenommen haben. Und ich denke, vielen Leuten | |
ist nicht bewusst, wie viel Antisemitismus in den Verschwörungserzählungen | |
drinsteckt. | |
Was meinen Sie genau damit? | |
Ich denke, dass viele Menschen Antisemitismus oftmals als solchen nicht | |
erkennen. Das ist ein allgemeines Problem, das wir in vielen | |
gesellschaftlichen Diskussionen um Antisemitismus haben. Also, wenn wir an | |
die Documenta denken – einigen Menschen war dort sofort klar: das ist | |
Antisemitismus. Andere haben die Ansicht vertreten, das sei kein | |
Antisemitismus. Diesen Diskurs zu führen, um darüber nachzudenken und | |
aufzuzeigen, was antisemitische Denkmuster sind – das ist mir ein wichtiges | |
Anliegen. | |
Die Diskussionen um die Documenta waren vergangenen Sommer teilweise sehr | |
hitzig. Was würden Sie sich für den öffentlichen Diskurs wünschen? | |
Ich wünsche mir ein Nachdenken und einen Austausch von Argumenten. Das Ziel | |
wäre es, zu einer sachlichen Diskussion zu kommen und die zunehmende | |
Polarisierung, die wir erleben, zu verringern. | |
Wie hat die Coronapandemie zu dieser Entwicklung beigetragen? | |
Verschwörungserzählungen und Antisemitismus sind Krisenphänomene. | |
Gesellschaftliche Situationen werden als komplex und vermutlich | |
überfordernd wahrgenommen. Immer wieder lässt sich geschichtlich | |
beobachten, dass dann auf scheinbar einfache Erzählungen zurückgegriffen | |
wird. Sie sind sinnstiftend, aber natürlich auf eine unangemessene Weise. | |
Welche Rolle spielen die christlichen Kontexte in der Reihe? | |
Uns ist wichtig, auf katholischer und evangelischer Seite zu gucken, in | |
welchen Kontexten wir Verschwörungserzählungen haben. Wir schauen jetzt | |
nicht, auf welche Weise das Christentum, Protestantismus oder Katholizismus | |
Gegenstand der Erzählungen sind, sondern fragen: Wer sind hier Trägerinnen | |
und Träger? Wer erzählt diese Mythen? | |
Was wollen Sie Zuhörer*innen mitgeben? | |
Solange das Problem da ist, ist es wichtig, darüber nachzudenken, darüber | |
zu sprechen und Menschen zum Handeln zu befähigen. Und wenn schon die | |
Person, die Verschwörungsmythen verbreitet, nicht überzeugt werden kann, | |
dann zumindest anderen klarzumachen, was diese Erzählungen bewirken und wie | |
viel Unheil sie enthalten. Wir wollen Menschen ermutigen, sich zu | |
engagieren, wo immer sie aktiv sein können: im Alltag, in der | |
Bildungsarbeit, bei der Polizei oder auch im Bereich der Justiz. | |
Sie meinen, dass die Verbreitung von Verschwörungstheorien geahndet wird? | |
Es geht darum, die juristischen Mittel, die wir haben, zu nutzen, um gegen | |
Antisemitismus vorzugehen. Gleichzeitig müssen wir auf vielfältige Weise | |
dagegen vorgehen. Das sehe ich als wichtige gesamtgesellschaftliche | |
Aufgabe. Wichtig ist dabei auch immer, zuerst vor der eigenen Haustür zu | |
kehren. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, zu gucken, wo haben wir | |
das Problem? | |
10 Jan 2023 | |
## AUTOREN | |
Ann-Christin Dieker | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |