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# taz.de -- Futuristischer Stillstand
> Mit Aquakulturen soll die Menschheit trotz sinkender Wildfischpopulation
> ernährt werden. Das ist viel zu optimistisch, haben Forscher*innen in
> einer neuen Studie nachgewiesen, an der auch das Geomar-Helmholtz-Zentrum
> in Kiel beteiligt war
Bild: Sieht futuristisch aus, kann aber nicht garantieren, dass Menschen in der…
Von Lisa Bullerdiek
Meterbreite Becken, eingelassen in die spiegelglatte Oberfläche
norwegischer Fjorde – Aquakulturen wirken wie aus der Zukunft. Trotzdem
können sie nicht verhindern, dass der Menschheit bald der Fisch ausgeht.
Das hat ein Forschungsteam mit Beteiligung des Geomar-Helmholtz-Zentrums in
Kiel in einer neuen Studie nachgewiesen.
Meeresbiologe Rainer Froese ist der deutsche Fachexperte für die Studie.
Darin sind die Forscher*innen der Behauptung nachgegangen, dass
Aquakulturen die stetig schrumpfende Wildfischpopulation ausgleichen
könnten. Um die Lachse, Austern und Shrimps in den Aquakulturen zu
ernähren, braucht es Wildfisch, der als Fischmehl und -öl verfüttert wird.
Aber Wildfische sind rar. Deshalb wird dem Fischfutter Getreide und Soja
hinzugegeben. Nur darum könnten die Aquakulturen trotz wenig Wildfisch
weiterlaufen, sagen die Betreiber*innen.
Die Rechnung: Meerestiere plus Getreide und Soja reiche, um die
Aquakulturen zu versorgen. Allerdings wird von dem Gesamtgewicht der
Meerestiere ausgegangen. Das beinhaltet auch Schalen von Krebsen und
Muscheln, die als Futter völlig nutzlos sind. Die Rechnung geht nicht auf.
Wenn das Ökosystem der Meere zusammenbricht, tun es auch die Aquakulturen.
Denn das Grundproblem der Überfischung werden auch Aquakulturen nicht lösen
können, sagt Froese. Er war auch an einer zweiten Studie am
Geomar-Helmholtz-Zentrum beteiligt, in der nachgewiesen wurde, dass der
Kollaps des Ökosystems auf allen Ebenen stattfindet. Dazu hat das Team von
fünf Leuten in der westlichen Ostsee die Populationen aller Tier- und
Pflanzenarten seit 1994 überwacht und in regelmäßigen Abständen gezählt. Im
Anschluss haben die Forscher*innen diese Zahlen auf mehrere Szenarien
übertragen. Sie wollten herausfinden: Wie wirkt sich unterschiedliche
Bewirtschaftung auf den Lebensraum aus?
Das marine Ökosystem hat vier Ebenen, erklärt Froese. Auf der ersten Ebene
ist das Plankton angesiedelt: Das sind Kleinstlebewesen im Meer, die sich
nicht von allein fortbewegen können und in der Meeresströmung treiben. Ein
einzelnes Plankton ist nicht sichtbar, aber in der Menge sorgt es dafür,
dass das Meerwasser trüb wird. Deshalb ist Wasser im Winter klarer, wenn
ein Großteil des Planktons stirbt.
Plankton erfüllt eine essenzielle Rolle im Ökosystem, weil es durch
Fotosynthese die Energie der Sonne an alle größeren Arten weitergibt, wenn
es von größeren Tieren gefressen wird. Auf der zweiten Stufe ist das
Zooplankton angesiedelt, das das Plankton frisst. Das Zooplankton wird auf
der dritten Stufe wiederum von kleineren Meerestieren gefressen. In der
westlichen Ostsee sind das vor allem Sprotten und Heringe. Die letzte Stufe
des Ökosystems bilden alle großen Tiere und Fische, im Fall der westlichen
Ostsee zum Beispiel Schweinswale, Robben, Steinbutt, Dorsch.
Eines der möglichen Szenarien war für die Forscher*innen, dass sich nichts
ändert: „Wir machen so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann“,
sagt Froese. Denn das Ökosystem leide auf allen Ebenen. Es gebe weniger
Plankton, weil der Dünger, der ins Meer geleitet wird, ihnen schadet.
Zooplankton fresse nicht nur Plankton, sondern auch Mikroplastik, das dem
Stoffwechsel der Tiere zusetzte. Sprotte und Hering seien stark überfischt
und werden deshalb weniger. Das alles kulminiere in der letzten Stufe des
Ökosystems: „Das System wird weiter geschwächt. Wir könnten Schweinswal,
Hering und Dorsch verlieren“, sagt Froese.
Das zweite Szenario: ökologisch orientierter Fischfang, der einbezieht, wie
alle Ebenen des Ökosystems zusammenhängen. Auf viele Fischarten würde es in
diesem Fall ein zweijähriges Fangverbot geben, sagt Froese. Danach könne
auch wieder gefischt werden, aber so, dass es nicht wieder zu einer
Überlastung kommt.
Gerade, sagt Froese, ist das erste Szenario wahrscheinlicher. Die
Fanggrenzen werden EU-weit durch die Landwirtschaftsminister*innen
der Länder beschlossen. Die, sagt er, würden auf Druck der Fischereilobby
auch Arten zum Fang freigeben, die stark bedroht sind. Internationale
Regelungen zum Fischfang, die es durchaus gibt, werden dank mangelnder
Strafen ignoriert. Die Fischer*innen sieht Froese nicht in der
Verantwortung. Vielmehr seien auch sie Opfer verfehlter Politik: „Die
Fischer haben sich an die erlaubten Fangmengen gehalten. Sie sind durch die
falsche Bewirtschaftung zu Schaden gekommen und sollten Schadensersatz
erhalten.“
Auf Nachfrage der taz verweist auch die Pressesprecherin des
Landwirtschaftsministeriums Schleswig-Holstein, Jana Ohlhoff, auf die
EU-Beschlüsse: „Die fischereiliche Nutzung der Ostsee unterliegt
vollumfänglich den Regelungen der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU.
Schleswig-Holstein hat als Bundesland hier keinerlei eigene
Regelungskompetenz; die EU hat im Bereich der marinen Fischerei die
exklusive Regelungsgewalt.“ Eine mögliche Lösung für den Nahrungsmangel
durch Überfischung, schreibt Ohlhoff: Aquakulturen.
2 Jan 2023
## AUTOREN
Lisa Bullerdiek
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