# taz.de -- das wird: „Leuten eine neue Nase gebastelt“ | |
> Ein Pionier seiner Zunft: Eva Fuhry über den Kieler Chirurgen Friedrich | |
> Esmarch | |
Interview Tatjana Smudzinski | |
taz: Frau Fuhry, zum 200. Geburtstag von Friedrich Esmarch stellen Sie | |
seine Notizen und Zeichnungen aus. | |
Eva Fuhry: Es sind nicht seine eigenen Zeichnungen. Tatsächlich hat er sie | |
bei akademisch ausgebildeten Künstlern oder auch seinen Studenten in | |
Auftrag gegeben und sie durch Notizen ergänzt. Er hat zum Beispiel | |
Informationen über die Krankengeschichte der Patienten und deren | |
medizinische Versorgung festgehalten. Da es noch keine untergliederten | |
Fachbereiche in der Chirurgie gab, hat er sich quasi mit allem beschäftigt: | |
von Unfallchirurgie über Infektionen bis hin zu Krebserkrankungen. | |
Wer genau war Esmarch? | |
Esmarch war fast 50 Jahre hier in der Chirurgischen Klinik in Kiel tätig. | |
Allgemein war er vor allem als Militärchirurg bekannt. Damit hatte er seine | |
Karriere als Arzt begonnen. Er hat das Dreiecktuch entwickelt, was heute | |
noch jeder aus dem Verbandskasten kennt. Weil er die Erfahrung gemacht | |
hatte, dass verletze Soldaten viel zu lange unversorgt auf dem Schlachtfeld | |
liegen blieben, hatte er den Einfall, dass jeder Soldat eine | |
Grundausrüstung für Erste Hilfe mit sich führt. Später hat die Idee in die | |
zivile Erste Hilfe Eingang gefunden. | |
Im 19. Jahrhundert ist in der Medizin sehr viel passiert. Bilden Sie diese | |
Entwicklung ab? | |
Wir stellen in unserer Ausstellung Esmarchs Patienten ins Zentrum. Er | |
selbst war sehr versiert. Er hat zum Beispiel plastische Operationen | |
durchgeführt und Leuten, denen aufgrund irgendwelcher Krankheiten die Nase | |
fehlte, eine neue gebastelt. Auch hat er die Kiefer-Lippen-Gaumenspalte | |
operiert. Das setzte schon ein relativ hohes Niveau voraus. Er hat generell | |
auch hohe Hygienestandards entwickelt. Zum Beispiel hat er im | |
Operationssaal Desinfektionsnebel versprüht. | |
Es geht vor allem um seine Errungenschaften? | |
Nein, wir wollen ihn nicht übermäßig verehren. Uns geht es darum, welchen | |
historischen Wert die Zeichnungen haben. Natürlich umfasst das auch | |
medizinische Errungenschaften. Aber vor allem möchten wir den Umgang mit | |
Patienten zu der Zeit thematisieren. Der war ganz anders als heutzutage. | |
Gerade arme Patienten wurden vor Studenten und zum Teil auch von ihnen | |
operiert. Das hat man bei Hochgestellten, Reichen natürlich nicht gemacht. | |
Ärmere Patienten dienten als Versuchskaninchen? | |
So würde ich das nicht sagen. Es war eine Win-win-Situation. Im Unterschied | |
zu anderen Medizinern behandelte er eben auch Patienten, die kein Geld | |
hatten oder durch Krankheiten bereits extrem entstellt waren. Ihm war | |
wichtig, dass Ärzte das Vertrauen der Patienten gewinnen. Er sah ein großes | |
Problem darin, dass viele Menschen viel zu spät zum Arzt gingen und so die | |
Heilungschancen verringerten. | |
Also hatte er ein Herz für die Ärmeren? | |
Ich glaube, das medizinische Interesse überwog. Deswegen störte es ihn | |
nicht, wenn man ihn nicht bezahlen konnte. Er war immer sehr gewissenhaft | |
bei seinen Behandlungen. | |
Erfährt man in der Ausstellung auch persönliches über diese Patienten? | |
Es gibt auf jeder Zeichnung einen Verweis auf die Krankenakte. Da steht zum | |
Beispiel drin, woher sie kamen und welchen Beruf sie hatten. Aus der | |
Krankheitsgeschichte ergeben sich auch Hinweise auf das soziale Milieu. In | |
einzelnen Fällen haben wir mehr herausfinden können: Zum Beispiel haben wir | |
über einen Patienten, der als Fünfjähriger zu Esmarch kam, Berichte aus | |
einer Dorfchronik entdeckt. Da stand, dass er seinen Mitmenschen auffiel, | |
weil er eine laute und dröhnende Stimme hatte. Die hatte er durch die von | |
Esmarch behandelte Gaumenspalte. Er wurde aber nie stigmatisiert, | |
vermutlich weil die Gaumenspalte vernäht wurde und man davon nichts mehr | |
sah. | |
19 Dec 2022 | |
## AUTOREN | |
Tatjana Smudzinski | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |