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# taz.de -- berliner szenen: Wie ist Mafall gestorben?
Der Pariser Philosoph und Theologe Pierre benannte seine Apéritif-Bar nach
Paul Linckes Operette „Frau Luna“. Nach dem ersten Cabernet kenne ich das
halbe Leben meines Tresennachbarn: sieben Jahre Textilkünstler in der
Lombardei, verlassen von der Frau, verliebt nun in Berlin. Mafall heißt er,
Ende vierzig, weißer Hoodie, schwarzer Lederhut, Goldketten, gepflegt. Ein
Mann wie ein Model vom Mailänder Laufsteg. Doch Mafall wirkt bekümmert,
schaut sorgenvoll in sein Teeglas. Omikronverdächtig trieft seine Nase.
Was ist los mit dir, will ich wissen. Kalt sei die Nacht gewesen, auf der
Parkbank am Landwehrkanal. Tags zuvor sei er aus dem Knast entlassen
worden. „Alright“ sei die Zeit in der Zelle in Tegel gewesen, grinst
Mafall, „nette Jungs dort, alles Kumpels, uns fehlte nichts“. Ab sieben Uhr
früh habe er dort gearbeitet, morgen könne er sich von dem Lohn ein
gebrauchtes Mountainbike und Handy besorgen. Ich will ihm ein Bier
spendieren, doch er winkt ab: „No alcohol“. Eine große Apfelschorle stellt
ihm Pierre hin, aufs Haus.
Plötzlich wirft mir der durchtrainierte Senegalese einen durchdringenden
Blick zu. „Kann ich diese Nacht bei dir pennen, Bruder?“ Meine Heiterkeit
verfliegt ein wenig. Ich bitte um Bedenkzeit, bestelle einen Grog. Zehn
lange Minuten schauen wir schweigend in unsere Gläser. Sorry, no,
entscheide ich. Doch Mafall lässt nicht locker: „Only one night! Please!“
Sorry, sage ich, Mitgefühl und Schuldgefühle mischen sich. Da geht auch
schon ein Hut für ihn um für eine Nacht im Hostel. Dort kam er nie an. Zwei
Tage später wird Mafall auf der Boddinstraße tot aufgefunden, sein Leichnam
nach Dakar überführt. Mit einem schwarzen Edding haben Freunde „Mafall“ a…
die „Frau Luna“-Wand geschrieben. Wie ist er gestorben? Niemand weiß es.
Guido Schirmeyer
13 Dec 2022
## AUTOREN
Guido Schirmeyer
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