# taz.de -- taz🐾thema: Quappenleber & Karpfenmilch | |
> Der Geschmack der Belle Époque: Wie man ein einfaches und ein festliches | |
> Hühnerfrikassee gemäß Rezept aus einem Kochbuch anno 1882 zubereitet | |
Bild: Andere Zeiten, anderes Werkzeug, andere Methoden: Champignons und Morchel… | |
Von Carola Rönneburg | |
Das bürgerliche Kochbuch „Die gute Küche“, eine „Theoretisch-praktische | |
Anweisung in der feinen und einfachen Kochkunst“, ist 1882 in | |
Frakturschrift erschienen. Die Verfasserin Ottilie Ebmeyer schreibt in | |
ihrem Vorwort, dass die „Jetztzeit“ immerhin „nicht ganz bescheidene | |
Anforderungen an ein neues Kochbuch“ stelle. | |
Diese „Jetztzeit“ Ende des 19. Jahrhunderts ist schon eine ganze Weile von | |
Umwälzungen geprägt: Es gibt neue medizinische Erkenntnisse und die | |
Elektrizität ist da! Gleichzeitig verliert der Adel an Macht, die | |
Landflucht spült weiterhin einfache landwirtschaftliche Arbeiter und | |
Arbeiterinnen in die Städte. Die altgewohnte Ordnung ist in Gefahr: „Von | |
jeher war das Amt des Kochens in den Händen der Frauen, es gehört zu ihrem | |
Beruf“, schreibt Ebmeyer. Doch sei dieses Amt in seinem Ansehen gesunken, | |
„weil die jungen Damen hinsichtlich der Bildung in ihrem Beruf in einen das | |
Familienwohl bedrohenden Zwiespalt geraten sind“. Die bürgerlichen | |
„Hausfrauen“, die in diesen Zeiten nicht etwa selbst kochen, sondern | |
Personal beschäftigen, sollen die Kontrolle wiedererlangen und ausüben. | |
Von daher ist es also einen Versuch wert auszuprobieren, wie diese | |
Jetztzeit schmeckt. „Die gute Küche“ behandelt tatsächlich die „feine u… | |
einfache Kochkunst“, da sie sowohl die Mahlzeiten mit Gästen als auch die | |
an gewöhnlichen Tagen oder für sparsame Zeiten berücksichtigt. Beim | |
Blättern durch das Kochbuch stoße ich auf ein Rezept für Hühnerfrikassee, | |
eines meiner Lieblingsgerichte. | |
Doch je genauer ich hinsehe, umso abenteuerlicher wird der Plan. 1882 | |
beinhaltet ein festliches Hühnerfrikassee für zwölf Personen („eine stets | |
sehr gern gesehene Schüssel“) unter anderem vier bis fünf gut gefütterte, | |
mindestens zehn Wochen alte Hähnchen samt Innereien, zwei Kalbshirne und | |
zwei Thymusdrüsen, 250 Gramm Knochenmark von Lamm oder Kalb und einen | |
halben Schock Flusskrebse. Der halbe Schock dürfte laut Wikipedia entweder | |
50 oder 60 Flusskrebsen entsprechen, allerdings empfehlen Experten, | |
Flusskrebse nicht unter 100 Gramm Gesamtgewicht zu verwenden, weil sehr | |
wenig Flusskrebsfleisch übrig bleibt. Das ist also noch zu klären. | |
Problematisch ist außerdem, dass die einst weit verbreiteten Edelkrebse, | |
seinerzeit ein Armeleuteessen, nahezu verschwunden und nur noch über | |
Züchter erhältlich sind. | |
Zu klären bleibt außerdem, ob Champignons und Morcheln weiterhin, wie 1882, | |
in Litern abgemessen werden müssen – wobei das eine der leichtesten Hürden | |
ist und vielleicht sogar wieder eingeführt werden könnte. Hinzu kommen | |
außerdem Hechtklößchen und eine Farce, mit der die Flusskrebsnasen – bis | |
Reaktionsschluss konnte ich nicht ermitteln, was eine Flusskrebsnase ist – | |
gefüllt werden. Selbstverständlich werden die Hähnchen außerdem in einem | |
Geflügel- oder Kalbsfond mit zusätzlichem Suppengemüse gekocht. Außerdem | |
gelangt alles in eine mit Blätterteig ausgebackene Schüssel. Verfeinern | |
ließe sich die Mahlzeit außerdem mit Quappenlebern, Karpfenmilch und | |
Hahnenkämmen. | |
Der Aufwand macht mir nicht zu schaffen. Aber woher bekomme ich ein | |
einwandfreies Kalbshirn? Woher ein Huhn mit Innereien, die früher noch | |
selbstverständlich mitgeliefert wurden? Woher Hahnenkämme? | |
Ich schaue auf das nächste Rezept, „Einfaches Hühnerfrikassee“: „Es lä… | |
sich durch Hinweglassung der Krebse, Kalbsmilch, Fischklößchen u. v. m. | |
vereinfachen.“ | |
Ich koche also vorerst mein Huhn in Gemüsebrühe und entdecke etwas im | |
Kochbuch: Einlagen für eine Hühnerbrühe. Linsen waren im 19. Jahrhundert | |
beliebt, aber auch Champignons. Zuerst bereite ich daher laut Anweisung | |
eine Mehlschwitze mit – Achtung – Sahne statt Milch zu. Gleichzeitig nehme | |
ich die Champignons und unterlasse es, wie im Rezept vorgeschrieben, ihre | |
Hüte abzuziehen, sie in Wasser einzuweichen und sie mit Zitronensäure zu | |
behandeln. Ich brate sie, gebe ihnen Zitronensaft, salze, pfeffere und | |
schreddere sie. | |
Nach Frau Ebmeyer müsste es nun gelingen, die Pilzmasse pyramidenförmig in | |
der Schüssel anzurichten und die Hühnerbrühe zuzugeben. Bei mir hat das | |
nicht geklappt. Aber den Geschmack von 1882 habe ich auf der Zunge – schon | |
sehr gut. | |
10 Dec 2022 | |
## AUTOREN | |
Carola Rönneburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |