# taz.de -- das wird: „Die Situation war für die Leute furchtbar“ | |
> Ein Film von 1978 zeigt Einblicke ins Hamburger „Obdachlosenlager“ | |
> Berzeliusstraße | |
Interview Jasper von Römer | |
taz: Ulrike Gay, was können Zuschauer*innen vom dokumentarischen Einblick | |
in das Leben der Berzeliusstraße in den 70ern heute lernen? | |
Ulrike Gay: Dass die Situation der Leute, die dort wohnten, furchtbar war | |
und dass sie kaum rauskamen. Der Film zeigt beispielsweise, wie die Leute | |
weder Wohnung noch Job noch Ausbildung bekamen, sobald sie ihre Wohnadresse | |
nannten. Wir wollen fragen: Wie ist das heute? Gibt es diese Vorurteile | |
immer noch? Was haben die Betroffenen für Möglichkeiten und was können | |
Außenstehende tun, um zu unterstützen? Darüber zu reden, ist ganz sicher | |
etwas, wo wir Einfluss nehmen können. Auch der Film selbst kann dazu | |
beitragen, ein anderes Bild von Menschen, die von Armut betroffen sind, zu | |
zeichnen. | |
Was denn für ein Bild? | |
Der Film illustriert nicht nur die Not und die Probleme der Menschen, die | |
im sogenannten „Obdachlosenlager“ gewohnt haben. Sondern macht deutlich, | |
wie Selbstermächtigung einer marginalisierten Gruppe aussehen kann. Der | |
Film entstand als Reaktion auf den im Fernsehen ausgestrahlten Film „Renate | |
und Klaus“, in dem pauschalisierend und stigmatisierend über die | |
Bewohner*innen als arbeitsscheue und alkoholabhängige homogene Gruppe | |
gesprochen wird. Daraufhin gründete sich eine Initiative innerhalb des | |
Lagers, die gemeinsam mit uns und Gerd Breitbart, damals Student und | |
Filmemacher, den Film gedreht hat. Dass die Bewohner*innen durch | |
Eigeninitiative und unsere Unterstützung die Medienarbeit in die Hand | |
genommen haben, um ihre Geschichten selbst zu erzählen, enttarnt die | |
Fremdzuschreibung. | |
Inwiefern unterscheidet sich die damalige Berichterstattung von der | |
heutigen Erzählung vom angeblich faulen Hartz- IV-Empfänger? | |
Ehrlich gesagt, sehe ich keinen großen Unterschied. Dass die alle | |
arbeitsscheu seien, wird ja heute noch gesagt. Aussagen wie: „Wer Arbeit | |
haben will, kriegt sie auch, wer Arbeit hat, kann auch seine Wohnung | |
bezahlen“ finden sich überall in Medien und Politik. Wir alle wissen, dass | |
das nicht stimmt. Der damalige Fernsehfilm ist ein besonders negatives | |
Beispiel gewesen. An die erbosten Reaktionen der Bewohner*innen der | |
Berzeliusstraße kann ich mich noch gut erinnern. Aber grundsätzlich nehme | |
ich immer noch diesen perfiden Grundtenor wahr: Menschen, die in | |
Wohnungslosigkeit oder in große Not geraten sind, tragen selbst Schuld. | |
5 Dec 2022 | |
## AUTOREN | |
Jasper von Römer | |
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