# taz.de -- Ode an die Röhre | |
Liebe LeserInnen, | |
zum Start der neuen wochentaz haben wir viel Post von Ihnen bekommen, | |
überwiegend Lob, seltener Kritik. Mit Abstand am häufigsten ging es aber um | |
das abgeschaffte Fernsehprogramm. Die Zuschriften waren meist traurig, | |
teils flehend oder zornig – ein Leser hat nach über 30 Jahren sein taz-Abo | |
gekündigt. „Es lebe das lineare Fernsehen“, schreibt einer. | |
Um das gleich vorwegzunehmen: Wir machen unsere Entscheidung nicht | |
rückgängig. Aber ich kann Ihnen sagen: Ich verstehe Sie, ein Stück weit. | |
Denn auch ich liebe das Fernsehen. Hören andere morgens Deutschlandfunk, | |
gucke ich Frühstücksfernsehen. Versinken andere im Youtube-Strudel, gucke | |
ich alte Folgen von „Modern Family“ im TV. Verzweifeln andere vor dem | |
Netflix-Überangebot, gucke ich abends das WDR-Verbrauchermagazin. Wenn | |
KollegInnen in Konferenzen über das Ende des linearen Fernsehens | |
philosophieren, schreite ich ein, rufe: „Halt, Stopp, das ist doch | |
überheblicher Unfug!“ | |
Fernsehen ist noch immer eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen | |
hierzulande. 2021 lag der [1][tägliche TV-Konsum] durchschnittlich bei 213 | |
Minuten, 1997 waren es nur 183 Minuten. Die Jüngeren wandern zwar Richtung | |
Streaming ab, die Älteren hängen dafür umso mehr vor der Glotze. Noch immer | |
sitzen Millionen von Ehepaaren, Single-Männern, Rentnerinnen und | |
Jugendlichen nicht nur abends auf dem Sofa und gucken Krankenhausserien, | |
RTL-Event-Dreiteiler, „Das Traumschiff“, „Markus Lanz“, die siebte | |
Wiederholung von „Independence Day“ oder Arte-Naturdokus. | |
Ich liebe vor allem das Zappen. Wo man da überall hinkommt. Im Leipziger | |
Zoo herrscht Trauer, weil Löwenmädchen Juma und Jasira den Zoo bald | |
verlassen müssen. Bei Shopping Queen in Düsseldorf müssen die Kandidatinnen | |
Herrentaschen tragen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus erklärt bei | |
Phoenix die Kindergelderhöhung und im Bayerischen Rundfunk wird gezeigt, | |
wie ich meinen Kleingarten winterfest mache. | |
Fernsehen ist nicht nur Unterhaltung, nicht nur totgeschlagene Zeit. | |
Fernsehen kann bilden, informieren, verbinden. Kann Beziehungen am Laufen | |
halten. Kann helfen, sich in den Regenwald von Costa Rica zu träumen, die | |
Gründe der Hungersnot in Somalia zu verstehen oder warum die Fifa so | |
verdammt korrupt ist. | |
Am 21. November war sogar Welttag des Fernsehens. Der wurde 1997 von den | |
Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Ziel war es, den weltweiten Austausch | |
von Fernsehprogrammen zu fördern, die sich etwa mit Themen wie Frieden, | |
Sicherheit, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung und Förderung des | |
Kulturaustauschs befassen. Das hat nun nicht so gut geklappt, denn selbst | |
ich TV-Freak habe gerade zum ersten Mal von diesem Weltfernsehtag gehört. | |
Liebe LeserInnen, die Sie das TV-Programm vermissen – seien Sie gewiss, Sie | |
sind uns nicht egal. Lassen Sie sich doch künftig auch mal treiben durch | |
unsere vielfältige Fernsehwelt. Und falls das nichts für Sie ist: Die | |
KollegInnen der Hörzufreuen sich sicherlich über neue AbonnentInnen. Aber | |
bitte, bleiben Sie auch uns gewogen. | |
Liebe Grüße | |
Paul Wrusch | |
Paul Wrusch, 38, ist Leiter der wochentaz | |
26 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/118/umfrage/fernsehkonsum-en… | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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