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# taz.de -- Intensives Spiel in altem Laden
> Im kulturell eher armen Horn findet sich Hamburgs kleinstes
> Privattheater. Auf engstem Raum wird hier Zimmertheater gemacht – und das
> ist nicht bloß ein Wortspiel. Nun wurde es ausgezeichnet
Bild: Unscheinbare Existenz im Rotklinker-Stadtteil: das private Theater Das Zi…
Von Matthias Propach
Schwitzende Schauspieler*innen, ein räuspernder Zuschauer, ein nicht stumm
gestelltes Handy: Wie in einem Reagenzglas reagiert alles miteinander –
aber heraus kommt hochkonzentriertes Drama auf engstem Raum. Hinter einem
unscheinbaren Ladenschaufenster in der Washingtonallee im Hamburger
Stadtteil Horn befindet sich das Theater „Das Zimmer“, die kleinste private
Spielstätte der Stadt. Anfang November erhielten die Macher*innen den
Barbara-Kisseler-Theaterpreis, dotiert immerhin mit 50.000 Euro.
Der Name ist Programm. Das Theater besteht lediglich aus einem
50-Quadratmeter-Raum, rund 40 Zuschauer*innen finden darin Platz. Es
gibt keine Bühne, keinen doppelten Boden, nicht mal einen Vorhang, der eine
Barriere zwischen dem Publikum und den Agierenden schaffen könnte. Nein,
hier kommen sich Schauspieler*in und Zuschauer*in ganz nah. „Vom Umbau
bis zum Kostümwechsel, passiert alles vor den Augen des Publikums“, sagt
Sandra Kiefer. „Nichts wird versteckt.“ Die ausgebildete
Musicaldarstellerin leitet gemeinsam mit Lars Cegleki, ausgebildeter
Schauspieler, das Theater, und das seit 2014, also von Anfang an. Zudem
führen beide Regie oder spielen auch selbst. „Das Publikum kann sich nicht
zurückziehen, sondern ist Teil des Spiels“, sagt Kiefer. So entstehe eine
besondere Intensität, die auf großen Bühnen nicht möglich sei. Der offene,
also vor den Augen des Publikums durchgeführte Umbau ist zwar mittlerweile
zu einer Art Standard in den Theatern geworden, „seinen Ursprung hat dieses
Konzept aber im Zimmertheater“, sagt Cegleki.
1999 gründete Angelika Landwehr in dem ehemaligen Laden das erste Theater
im Stadtteil, damals noch unter dem Namen „Theater in der Washingtonallee“.
Hamburg Horn zählt zu den einkommensschwächeren Quartieren, neben einigen
Sozialhilfeläden und Kiosken dominieren gleichförmige
Nachkriegs-Backsteinhäuser das Wohnviertel. Das kulturelle Angebot hält
sich in Grenzen, wohlwollend ausgedrückt: „Außer dem kleinen Hoftheater
gibt es hier nicht viel“, sagt Cegleki. Kiefer sieht diese Ausgangslage
jedoch als ein „Geschenk“, nicht als einen Nachteil: „Wir beschäftigen u…
mit Menschen“, sagt sie; die Begegnung stehe im Vordergrund, nicht der
helle Schein eines Hochkulturbetriebs. Das Publikum sei sehr gemischt,
viele Zuschauer*innen kämen aus der Nachbarschaft – aber auch
Theaterliebhaber*innen aus ganz Deutschland statteten dem „Zimmer“
einen Besuch ab. Denn mittlerweile gehört das kleine Theater zu den
etablierten Off-Schauplätzen Hamburgs – und es ist eines der wenigen
verbliebenen Zimmertheater in der Stadt.
Vielleicht war es das Bedürfnis nach einer neuen Form von Theater, das die
existentielle Erfahrung des gerade erst zu Ende gegangenen Krieges
reflektierte – oder schlicht die materielle Not? 1947 begann der gebürtige
Karlsruher Helmut Gmelin in seiner Drei-Zimmer-Wohnung in der Hamburger
Alsterchaussee Stücke zu inszenieren. Gmelin war da längst einflussreicher
Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter, wirkte unter anderem am
Deutschen Schauspielhaus. Ein „Theater ohne Vorhang und Rampe“ wollte er
nun schaffen, das auf die anderswo übliche Theatralik verzichtete. Mit
sparsamem Einsatz von Schminke und Kostümen sowie einem naturalistischeren
Spiel wollte man sich der Ästhetik des zunehmend populären Films annähern:
Durch die räumliche Nähe sah das Publikum den Schauspieler*innen zu wie
bei einer Nahaufnahme.
Als die Wohnung zu klein wurde für die hohe Nachfrage, zog das
Zimmertheater 1948 in eine klassizistische Villa gleich gegenüber – und
hieß fortan „Theater im Zimmer“. 1959, nach dem Tod des Gründers, überna…
seine Tochter Gerda Gmelin, selbst Schauspielerin, die Leitung. Sie
verstarb 2003, das Theater gibt es bis heute.„Gmelin hat den Geist gesät,
den wir jetzt hier fortsetzen“, sagt Cegleki: Mit so wenig Mitteln wie
möglich sollen auch im „Theater Das Zimmer“ in Horn Stücke umgesetzt
werden.
Meist besteht das Ensemble daher nur aus zwei bis vier Schauspieler*innen,
und zur Durchführung eines Abends braucht es bloß eine weitere Person für
die Technik. Was inszeniert wird, orientiert sich daher zunächst daran, was
sich in dem begrenzten Rahmen auch umsetzen lässt. Es kamen aber auch schon
„Woyzeck“ und „Maria Stuart“ auf die (nicht vorhandene) Bühne, „Per
Anhalter durch die Galaxis“ oder gar „Ben Hur“. Sie interessierten sich
„immer mehr für große Stücke, die man nicht in einem Zimmertheater erwarten
würde“, sagt Kiefer.
Auch bei der aktuellen Produktion „Felix“ wird spürbar, was Zimmertheater
ausmacht: „Felix“ basiert auf einem Podcast des NDR, geschrieben von
Christoph Heinzle. Es geht darin um den verurteilten Anlagebetrüger Felix
Vossen, der Freunde und Familie um 60 Millionen Euro erleichterte. Regie
führt Sandra Kiefer. Lars Cegleki und die beiden anderen
Schauspieler*innen ersetzen unter Einsatz ihres ganzen Körpers die
fehlende Kulisse und abwesenden Kostüme. Gleichzeitig ist das Publikum
gefordert, genau hinzusehen: Kleinste Mimik, Gesten und Handbewegungen
erzählen eine Geschichte. In einem gemeinsamen Kraftakt imaginieren
Darsteller*innen und Zuschauer*innen, was das Zeug hält. Da wird
schon mal das Taschentuch zum Handy, oder schlichte runde Kartons stellen
eine Saunabank dar.
„Wir unterscheiden uns im Anspruch nicht von anderen Theatern“, sagt
Cegleki: Es gehe darum, gutes Theater zu ermöglichen. Ein deutlicher
Unterschied zu großen Häusern seien die niedrigeren Eintrittshürden: „Bei
uns muss man sich nicht fragen: Muss ich einen Anzug tragen?“ Der Eintritt
kostet regulär 22 Euro, ermäßigt bei 14, jeden Mittwoch, der hier „Blauer
Mittwoch“ heißt, kostet der Besuch nur 12 Euro.
Jetzt erhielt „Das Zimmer“ den Barbara-Kisseler Theaterpreis. Mit 50.000
Euro honoriert er jährlich mutige Produktionen der freien Szene Hamburgs.
Mit dem Geld wollen Sandra Kiefer und Lars Cegleki die Sichtbarkeit des
Theaters erhöhen, gerade auch in der unmittelbaren Nachbarschaft. Dem
Prinzip Zimmertheater hinterm schlichten Schaufensterladen aber will man
treu bleiben.
30 Nov 2022
## AUTOREN
Matthias Propach
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