# taz.de -- Heizen ist Glückssache | |
> Die Stadt Rotenburg bringt Obdachlose in einer heruntergekommenen | |
> Unterkunft unter. Zwar soll es künftig Container geben, aber einen | |
> Zeitplan noch nicht. Und der Winter kommt | |
Bild: Zumindest ihren Sinn für Humor haben die Bewohner noch nicht verloren: h… | |
Von Matthias Propach | |
Weit außerhalb der Stadt Rotenburg (Wümme), noch ein gutes Stück hinter dem | |
Industriepark, entlang enger Feldstraßen, liegt ein verwildertes | |
Grundstück. Das kleine Gebäude, das darauf steht, ist von der Straße aus | |
kaum zu entdecken. Es ist heruntergekommen: zerbrochene Fenster, die mit | |
Brettern oder Plexiglas verschraubt sind; Putz, der von der Wand bröckelt; | |
eine Eingangstür, auf die mit schwarzer Sprühfarbe „Home Sweet | |
Home“geschmiert wurde. Die Stadt Rotenburg bringt hier Menschen ohne | |
Wohnsitz unter – obwohl die Unterkunft eigentlich kaum mehr bewohnbar ist. | |
„Seit circa 13 Monaten lebe ich hier. Ich war der erste der vier aktuellen | |
Bewohner“, sagt Jens Christopher Eden. Er steht neben der Eingangstür. Der | |
Flur hinter ihm ist kahl und dunkel. Die vernagelten Fenster lassen kein | |
Licht herein. „Wir können hier nicht mal lüften“, sagt der 30-Jährige. | |
Eden hat schon seit Jahren keine eigene Wohnung mehr. Hier, in der | |
Unterkunft am Kesselhofskamp lebt er mit drei weiteren jungen Männern. Sie | |
wurden in den vergangen Monaten vom Ordnungsamt Rotenburg hier her | |
geschickt. Seitdem auch viele Geflüchtete aus der Ukraine eine Unterkunft | |
brauchen, fehlt es der Stadt an Betten. | |
Zwar hat jeder der Männer hier sein eigenes Zimmer, aber sie teilen sich | |
eine spartanisch eingerichtete Küche und ein kleines Bad. Die Böden | |
bestehen aus blankem Beton, die Wände sind mit Dreck und Filzstiften | |
beschmiert. Offene Leitungen ragen aus den Wänden. | |
Bis zum Sommer habe es nicht einmal eine Möglichkeit zum Kochen gegeben: | |
„Wir haben im Garten einen Grill gebaut, damit wir uns was warmes zu Essen | |
machen konnten“, sagt Eden. Nach langem Hin und Her habe die Stadt eine | |
elektrische Herdplatte organisiert. Und die Liste der Mängel ist noch | |
länger: In den ersten Monaten habe sich nicht einmal die Haustür schließen | |
lassen: „Jeder konnte hier einfach hereinspazieren“. | |
Plötzlich hält ein Auto vor dem Grundstück. Ein Postbote steigt aus. „Die | |
Zustände hier sind schlimm“, findet er. „Aber das war auch schon vor fünf | |
Jahren so.“ | |
Dass die Probleme mit der Unterkunft nicht neu sind, bestätigt auch Wiebke | |
Sprung von der Lebensraum Diakonie in Rotenburg. Das Haus mit dem roten | |
Spitzdach sei schon vor zehn Jahren in einem schlechten Zustand gewesen. | |
Eden und seine Mitbewohner fühlen sich allein gelassen. Daran, dass sich | |
bald etwas für sie ändert, glauben sie nicht. Insbesondere nach den | |
Äußerungen des Bürgermeisters Torsten Oestmann (parteilos) im NDR. Dort | |
hatte er die Unterkunft als eine den Mindestanforderungen entsprechende | |
Behausung verteidigt. Wie es dort aussehe, liege „an den Bewohnern selber“, | |
sagte Oestmann. Er verwies zudem darauf, dass die dort lebenden Obdachlosen | |
aufgrund ihrer „Verhaltensauffälligkeit“ aus anderen Heimen verwiesen | |
worden seien. | |
Mittlerweile haben sich die Fraktionen des Rotenburger Stadtrates in einer | |
gemeinsamen Erklärung geschlossen hinter die Stadtverwaltung gestellt, die | |
für die Unterkunft zuständig ist. Die Freien Wähler, CDU, FDP, SPD, die | |
Grünen und die Linkspartei sehen die Verantwortung für den Zustand der | |
Unterkunft bei den „ehemaligen Bewohnern“. | |
Dass Eden und die anderen drei Bewohner erst seit kurzer Zeit hier wohnen, | |
die Unterkunft aber bereits seit Jahren in einem unbewohnbaren Zustand ist, | |
ist in der Erklärung nicht berücksichtigt. | |
Stattdessen sorgen sich die Fraktionen in erster Linie um das Ansehen der | |
Stadt, das durch eine „einseitige“ und „populistisch“ anmutende | |
Berichterstattung des NDR beschädigt werde. Dass die Stadtverwaltung nicht | |
dafür gesorgt habe, dass die Unterkunft saniert wurde, sei logisch, da sie | |
gar „nicht mehr für eine Belegung vorgesehen war“. | |
„Rotenburg hat ein Platzproblem, wenn es um die Unterbringung Bedürftiger | |
geht“, sagt auch Bürgermeister Oestmann der taz. So sei durch die erhöhte | |
Zahl Geflüchteter die Unterbringung der rund 40 Obdachlosen in der Stadt | |
erschwert. Nur deshalb sei die Unterkunft im Kesselhofskamp belegt. | |
In der Satzung über die Benutzung von Obdachlosenunterkünften, die der | |
Stadtrat Ende des Jahres 2021 verabschiedet hat, wird die Unterkunft | |
allerdings noch ausdrücklich aufgeführt. Keine Erwähnung findet dort ihr | |
Zustand, geschweige denn ein Vermerk über den Sanierungsbedarf. | |
Stefan Klingbeil von der Linkspartei kritisiert seine | |
Stadtratskolleg*innen: „Die Schuld wird den betroffenen Individuen | |
zugeschoben“, sagt er. „Anstatt die Strukturen zu kritisieren, die für den | |
Zustand der Unterkunft verantwortlich sind, wird nach unten getreten.“ | |
Die Mindestanforderungen sieht er in der Unterkunft nicht erfüllt. | |
Allerdings betont er, die Stadt habe die Situation auch bereits vor der | |
Berichterstattung im Blick gehabt. Klingbeil verweist auf die 250.000 Euro, | |
die im Haushalt 2023 für die Verbesserungen der Obdachlosenunterkünfte in | |
Rotenburg eingeplant seien. | |
Jan-Patric Lingnau lebt erst seit kurzem am Kesselhofskamp. Wenn er an den | |
Winter denkt, wird ihm flau im Magen. Die meiste Zeit gehe das warme Wasser | |
nicht und auch die Heizungen würden nicht zuverlässig funktionieren. „Wir | |
müssen immer wieder selbst an dem Boiler oder an den Sicherungen herum | |
schrauben, da hier immer alles ständig ausfällt“, sagt Lingnau. Die | |
Bewohner müssten 90 Euro Miete ans Ordnungsamt zahlen und sich gleichzeitig | |
auf eigene Kosten um die Instandhaltung kümmern, sagt Lingnau. | |
Dass die Stadt die Unterkunft saniert, ist angesichts der zu erwartenden | |
Kosten unwahrscheinlich. Die Stadt plant mittlerweile, die Bewohner | |
umzuquartieren und die „Notunterkunft“ aufzulösen. Es würden nun Container | |
organisiert, um das allgemeine Platzproblem zu lösen, sagt Bürgermeister | |
Oestmann. Darin sollten Obdachlose wie auch Geflüchtete übergangsweise | |
untergebracht werden. Einen Zeitplan gibt es nicht. | |
9 Nov 2022 | |
## AUTOREN | |
Matthias Propach | |
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