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# taz.de -- Von den Wonnendes Queerlesens
> Aus einem digitalen Corona-Format tritt in Bremen die Literaturreihe
> Queer-(L)it in diesem Jahr ins wahre Leben: Dabei geht's um die Frage,
> was queere Literatur sein kann
Bild: Deutsche Literatur sieht von außen bunt aus. Aber den Betrieb dominieren…
Von Emma Rotermund
Queere Literatur, das sind nicht nur Geschichten über nicht-heterosexuelle
Menschen. Was aber macht queeres Schreiben aus? Und inwiefern ist es
politisch? Diesen Fragen widmet sich die Literaturreihe „Queer (L)it!“, die
in diesem Jahr zum zweiten Mal vom virtuellen Literaturhaus Bremen
veranstaltet wird.
„Der Literaturbetrieb wird immer noch von biodeutschen, heterosexuellen
Männern dominiert“, konstatiert Heike Müller, die Leiterin des Bremer
Literaturhauses. Die patriarchalen Strukturen, die den gesamten
Kulturbetrieb durchziehen, seien im literarischen Feld besonders langlebig.
Erst seit ein paar Jahren beobachtet sie vermehrt jüngere, queere
Autor*innen, die inzwischen auch von großen Verlagen angefragt werden. „Sie
werden langfristig den Literaturbetrieb verändern.“
Bei einem Kaffeetrinken mit Schriftsteller*in Sasha Marianna Salzmann
wurde die Idee zu einer explizit queeren Literaturreihe geboren. „Bei einer
queeren Veranstaltung sind die Diskussionen anders“, sagt Heike Müller. Man
könne mehr in die Tiefe gehen. Im letzten Jahr fand „Queer (L)it!“ zum
ersten Mal statt – als Videoreihe, bei der Salzmann mit queeren
Autor*innen sprach. Einer davon war Gunther Geltinger, den Müller im
Anschluss fragte, ob er die Reihe in diesem Jahr kuratieren wolle.
Bei queerem Schreiben geht es für ihn vor allem um eine alternative
Erzählung zum Mainstream: „Queere Literatur wirft einen anderen Blick auf
die Gesellschaft und die Geschichte.“ Das eröffne eine neue Perspektive.
Queerness bedeute auch, etwas zu unterlaufen und zu durchkreuzen, was sich
auch auf der formalen Ebene der Texte bemerkbar machen kann, im Spiel mit
verschiedenen Genres beispielsweise.
Schreiben queere Autor*innen anders? „Ich glaube, dass die Erfahrung,
anders als die Mehrheit zu sein, eine andere Wahrnehmung bei einer
Schriftstellerin oder einem Schriftsteller erzeugt“, sagt Geltinger, „eine
erhöhte Sensitivität“. Daraus entstehe eine andere Sprache.
„Queere Literatur hat verschiedene Potenziale“, sagt der Autor und
Spoken-Word-Künstler Jayrôme C. Robinet, der ein breiteres Publikum mit
seinem autobiografischen Text „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem
jungen Mann mit Migrationshintergrund“ erreicht hat. Der Titel ist
programmatisch, das Buch erzählt die Geschichte seiner Transition, die
Robinet, in Frankreich aufgewachsen, in Berlin in Angriff genommen hat. Am
Donnerstag, also mitten in der Awareness Week im Vorfeld des Gedenktag für
Opfer transfeindlicher Gewalt wird er gemeinsam mit dem aus Mecklenburg
stammenden Essayisten und Literaturkritiker Daniel Schreiber in der Bremer
Stadtbibliothek auftreten: Beim zweiten Teil der diesjährigen
Queer-Lit-Reihe wollen die beiden über die Bedeutung von Sprache als
transformativem Mittel sprechen. Zu diesen Potenzialen gehöre die
Geschichtsschreibung und die Weitergabe queeren Wissens, so Robinet. Auch
zur positiven Veränderung queerer Räume könne die Literatur beitragen,
indem Probleme und Konflikte innerhalb der queeren Community, wie
Transfeindlichkeit oder Rassismus, thematisiert werden. „Innerhalb der
Sprache neue Formen auszuprobieren, wie neue Pronomen, oder das Brechen von
traditionellen Romanformen“, das ist Teil queerer Literatur, meint Robinet.
Beim Spoken Word werden laut Robinet die Potenziale der queeren Literatur
verstärkt. „Die Bühne bedeutet auch: Ein realer Raum wird geschaffen“, sa…
er. Dort können Affekte entstehen, auch eine communitybildende Funktion
erfülle die Bühne. „Durch die Körpersprache und die paraverbale Sprache,
also zum Beispiel den Rhythmus, werden noch mehr Informationen
transportiert als durch die verbale Sprache.“
Bei der ersten Veranstaltung dieses Jahres, der „Werkstatt des queeren
Romans“, die im September stattfand, unterhielt sich Gunther Geltinger mit
der Autorin Antje Rávik Strubel übers Entstehen ihrer Bücher. Rávik
Strubels Roman „Blaue Frau“ war 2021 mit dem Deutschen Buchpreis
ausgezeichnet worden: In seinem Zentrum steht eine Frau, die, infolge einer
nie direkt thematisierten Vergewaltigung jede Selbstgewissheit jedenfalls
verloren hat – und deren Ringen um so etwas wie Identität sich zugleich als
ein Panorama europäischer Gesellschaften nach dem Zusammenbruch des
Ostblocks lesen lässt. Diese Ungewissheiten sind laut Rávik Strubel das
Entscheidende: Queerness habe immer damit zu tun, dem Festgelegten zu
misstrauen, sagte sie beim Workshop. Als Patronin dieses literarischen
Denkens zählt sie Virginia Woolf, die sich von zugewiesenen Identitäten
schreibend gelöst habe.
Das zeigt: Ob Literatur als queer verstanden wird, ist auch eine Frage der
Rezeption. Man müsse einen Text in seinem zeitlichen Kontext sehen, sagt
auch Geltinger. „Die queere Literatur ist immer abhängig von der Stellung
der Queerness in der Gesellschaft, die sie gerade liest“, sagt er. James
Baldwin zum Beispiel sei zu seiner Zeit nicht als queerer Autor verstanden
worden, obwohl er und einige seiner Protagonisten schwul waren.
Über die Zeit haben sich auch die Themen queerer Texte verändert. „Früher
wurde Queerness häufig als Hauptthema behandelt, verbunden mit
Stigmatisierung und Gewalt“, sagt Robinet. Heute sei das anders. „Es gibt
immer mehr Bücher, in denen Queerness nur als ein Detail unter anderen
Details betrachtet wird“.
In Büchern wie „Adas Raum“ von Sharon Dodua Otoo gebe es ganz
selbstverständlich auch queere Protagonist*innen, ohne dass ihre Queerness
als solche groß thematisiert werden müsse. „Sie sind queer und ihnen
passieren Dinge.“
Queer (L)it: Quersprechen mit Jayrôme C. Robinet und Daniel Schreiber,
17.11., 19 Uhr, Stadtbibliothek Bremen
15 Nov 2022
## AUTOREN
Emma Rotermund
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