# taz.de -- Luisa Neubauer über Klaus Wiegandts Buch „3 Grad mehr“: Sprech… | |
> Die Lösungen, die in Klaus Wiegandts Buch „3 Grad mehr“ aufgezeigt | |
> werden, müssen nicht nur bekannt gemacht werden, sondern vor allem | |
> mächtig. Das haben wir bisher nicht geschafft. | |
Von [1][LUISA NEUBAUER] | |
Bis heute, und im Sommer selbst bei 40 Grad im Schatten, scheinen sich | |
Teile der Öffentlichkeit und Politik mehr dafür zu interessieren, wie über | |
die Klimakrise gesprochen wird, als darüber, wie sie bewältigt wird. Wer | |
über die gefährlichste Katastrophe des Jahrhunderts sprechen möchte, darf | |
bloß nicht zu laut sein, nicht zu hysterisch, nicht zu ernst, nicht zu | |
humorvoll. Nicht zu viele Fakten liefern, nicht zu viele Gefühle zeigen, | |
nicht moralisieren, schon gar nicht predigen und keine Vorschriften machen. | |
Was okay ist: freundliche Hinweise über die Apokalypse, natürlich ohne | |
apokalyptisch zu werden, gerne mit Praxistipps und einer Prise Hoffnung. | |
Ein britischer Meteorologe wurde neulich vor laufenden Kameras gebeten, | |
doch auch etwas Positives über die extreme Hitze zu sagen. Nicht, dass am | |
Ende noch jemand schlechte Laune bekommt. Verdaulichkeit geht über | |
Wirklichkeit. | |
Heute, über vier Jahre nach dem Auftauchen von Fridays for Future, ist | |
weiterhin offen, welcher Ton, welche Sprache und Form der Krise gerecht | |
werden kann. Es wurde endlos diskutiert und geschrieben, doch weder | |
politisch noch gesellschaftlich oder medial ist ein Zustand eingetreten, | |
der der Sache gerecht wird. Ein breites Durchdringen, einen exekutierten | |
Klimanotstand gab es nicht. Weiterhin müssen wir uns fragen: Wie schreibt | |
man auf, was es noch nie gab? Wie redet man über das Unbegreifbare? Welche | |
Worte brechen durch das Klima-Rauschen? | |
Und inmitten der Klimahitze, der Brände, der neuen fossilen Expansionen ist | |
noch eine zweite Frage im Sprechen über die Klimakrise dazugekommen: Wie | |
spricht man noch über das Klima? Was sagt man, wenn alles gesagt ist? Immer | |
weniger ist es die Sprache, sondern die Sprachlosigkeit, die in den | |
Vordergrund rückt. Denn es spricht doch für sich, was diesen Sommer | |
passiert ist, oder? Der schmelzende Asphalt unter den Fahrradreifen bei der | |
Tour de France, die Feuer, die Windräder bedrohen, die Bischöfe, die in | |
Norditalien für Regen beten, die Hungerkrisen. Was braucht es denn noch? | |
Mehr Aufklärung über die Folgen von klimapolitischer Untätigkeit braucht | |
es, laut des Buches 3 Grad mehr, das nun im oekom Verlag erschienen ist. | |
Der Stifter Klaus Wiegandt hat es herausgegeben und die Spitze der | |
deutschen Klima- und Sozialforschung zusammengebracht, um aufzuschreiben, | |
wie eine Zukunft aussehen könnte, wenn die globale durchschnittliche | |
Erhitzung auf drei Grad ansteigt. Das ist der Klimapfad, auf dem wir uns | |
etwa gerade befinden. Stefan Rahmstorf, Hans Joachim Schellnhuber, Jutta | |
Allmendinger und andere erklären in dem Buch auch, mit welchen Lösungen das | |
Eintreten ein solchen Szenarios verhindert werden kann und wie diese | |
Lösungen gerecht finanziert werden können. Ein wichtiges Buch, fast schon | |
ein Nachschlagewerk zu den großen Themen, Moore, Migration, Landwirtschaft, | |
Bauen. 3 Grad mehr ist ein umfassendes, tiefes Buch für Menschen, die | |
bereit sind, sich der Komplexität der Sache zu stellen. | |
Was das Buch nicht beantwortet, ist die Frage, wie Informationen vermittelt | |
werden können, sodass sie Wirkung entfalten. Und: Warum Fakten bisher so | |
erschreckend wenig verändert haben. Warum immer mehr informierte Menschen | |
nicht im gleichen Maße informiertes Handeln in der Klimakrise produzieren. | |
## Wege aus der Schockstarre | |
Es ist elementar, und da trifft das Buch einen wichtigen Punkt, Menschen | |
aufzuklären und mit Erkenntnissen über die Szenarien der Zukunft | |
auszustatten. Nur, das allein ermächtigt nicht, sich der Klimakrise | |
entgegenzustellen. Viel eher droht dieses Wissen zu erschlagen. Wissen ist | |
nicht immer Macht – in der Klimakrise ist Wissen auch schnell Ohnmacht. | |
Dabei führt 3 Grad mehr auch aus, dass die Zivilgesellschaft gebraucht | |
wird, um einerseits Druck auf die Politik auszuüben und andererseits | |
Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen in der Gesellschaft herzustellen. | |
Im Buch wird das ganz am Ende aufgeführt, als eine Art Zusatz. Viel eher | |
ist es das, womit unsere Chancen stehen und fallen, die drei Grad heißere | |
Welt zu verhindern. Und deshalb sollte die Rolle der Menschen, der | |
Gesellschaft behandelt werden. | |
Vierzig Jahre lang haben Wissenschaftler:innen und Institutionen Menschen | |
für die Lage zu sensibilisieren versucht. Was fast immer ausgeklammert | |
wurde: die Frage, wie Macht in der Gesellschaft aufgebaut und Macht der | |
fossilen Lobbys geschwächt wird. Über die Klimakrise zu sprechen, ohne über | |
Macht zu sprechen, negiert die Tatsache, dass die Existenz der Klimakrise | |
per se eine Konsequenz von Machtkämpfen ist. Bisher haben sie die fossilen | |
Industrien gewonnen, deren Finanziers und politischen Unterstützer:innen. | |
Zukünftig müssen die anderen gewinnen, diejenigen, die nachhaltige Lösungen | |
vorantreiben, Schutz über Ausbeutung stellen, die Dominanz des globalen | |
Nordens herunter und internationale Solidarität hochfahren wollen. | |
Die Lösungen, die auch in 3 Grad mehr aufgezeigt werden, müssen nicht nur | |
bekannt, sondern eben auch mächtig gemacht werden. Und dort, wo gehandelt | |
wird, wird schließlich auch die Frage der Sprache beantwortet. Denn im | |
Handeln erwachsen Geschichten, die man weitererzählen möchte. Geschichten | |
über Menschen und die Natur, die persönlich sind, emotional und informiert | |
gleichermaßen, die Wege aus der Schockstarre aufzeigen. | |
Die Klimakrise ist keine Frage des besseren Argumentes, die Gründe für | |
radikalen Klimaschutz sind da. Für die einen mag den Ausschlag geben, dass | |
es schön wäre, das Projekt Menschheit noch eine Weile weiterzuverfolgen. | |
Für die anderen die Tatsache, dass die Klimakrise absehbar sehr, sehr teuer | |
wird. Und am Ende des Tages sprechen wir über Macht. Wer hat die Macht, zu | |
zerstören, und wo wächst die Macht, die Zerstörung aufzuhalten? | |
LUISA NEUBAUER ist Klimaaktivistin. Im Oktober 2022 erschienen (mit Dagmar | |
Reemtsma): Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich. | |
Tropen 2022 – 224 Seiten, 24 Euro | |
20 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Luisa Neubauer | |
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