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# taz.de -- Erinnerungen: Besondere Stimme
> Sportfunktionäre im ganzen Land fürchteten den Journalisten, der seine
> Themen auch im Osten gesucht hat – ein Nachruf auf Herbert Fischer
Es war im September 1986, mehr als drei Jahre vor dem Fall der Mauer. Ich
hatte in Zella-Mehlis (Thüringen) meinen Bus verpasst und versuchte, als
Anhalter nach Hause zu kommen. Da hielt ein freundlicher Mann mit einem
Westwagen und nahm mich einige Kilometer mit. Es war der Herbert Fischer,
der Sportredakteur des Deutschlandfunks aus Köln. Er fuhr von der
Schützen-WM in Suhl nach Hause. Ich berichtete ihm von meinem Ferientrip
mit Schulkameraden nach Ungarn, wo wir kurz zuvor bei Budapest den ersten
Formel-1-Lauf im Ostblock miterleben konnten – für uns Landpomeranzen aus
der eingemauerten DDR ein großes Abenteuer. Nach dem Mauerfall trafen wir
1994 wieder aufeinander – bei den Olympischen Winterspielen in Lillehammer.
Es hatte sich so viel verändert. Zunächst erkannten wir uns nicht wieder.
Erst als ich ihm vom hilfsbereiten DLF-Mitarbeiter 1986 in Zella-Mehlis
erzählte, erinnerte er sich wieder.
Fischer nutzte damals jede sich ihm bietende Gelegenheit, in den Osten zu
fahren. 1946 im sächsischen Löbau geboren, ging er mit seiner Familie
Anfang der 1950er Jahre in den Westen, wurde dort nach dem Abitur
Journalist. Überhaupt waren die Menschen und Regionen in Ostdeutschland für
den leidenschaftlichen Journalisten von großem Interesse. Die größte Freude
bereiteten ihm die Termine fernab des Redaktionshochhauses am
Raderberggürtel in Köln – im Wintersportzentrum in Oberhof, in Lausanne
beim Internationalen Olympischen Komitee oder auf einem Dorfsportplatz in
Sachsen oder Brandenburg.
Herbert Fischer hat sich in seinen fast 40 Jahren beim Deutschlandfunk bis
zur Pensionierung im Jahr 2011 an viele unbequeme Themen herangewagt:
Korruption beim IOC oder der Fifa, Skandale in den deutschen
Sportverbänden, Doping im Radsport, Aufarbeitung des stasidurchwirkten
Sports in der DDR. Dabei ist er zahlreichen Funktionären und
Sportpolitikern auf den Schlips getreten.
Mit seiner angenehmen Stimme moderierte er besonders gerne die 50-minütigen
„Sport am Wochenende“-Sendungen, wo er neben den aktuellen Sportereignissen
genug Sendeminuten für die Themen freischaufelte, die ihm aus
journalistischer Perspektive wichtig waren und anderswo kaum stattfanden.
Zudem hat er auch dem Behinderten- und Breitensport, dem Senioren- und
Kindersport, kurzum auch den Kleinen und Schwachen im großen Sport eine
Stimme gegeben. Unvergessen seine Reportage im Rahmen einer „Trimm
Dich“-Laufveranstaltung in den 1980er Jahren, als Fischer mit seinem großen
Kassetten-Tonbandgerät gemeinsam mit der Lauflegende Emil Zátopek joggte
und ihn dabei interviewte.
Die Kollegin Bianka Schreiber-Rietig formulierte in ihrem Nachruf auf den
Radioreporter Fischer absolut treffend: „Seine Berichte und Sendungen
hatten immer Tiefgang.“ Missstände und Fehlentwicklungen im Sport
schonungslos zu thematisieren, war eine seiner Stärken. Aber auch die
jungen Opfer des Dopingmissbrauchs im Sport in der DDR und auch in der
Bundesrepublik waren ihm ein wichtiges Anliegen. Zu zahlreichen
Prozessterminen gegen die DDR-Verantwortlichen um den langjährigen
Sportchef Manfred Ewald und den Sportmediziner Manfred Höppner sowie
weiteren Tätern, reiste Fischer im Jahr 2000 als Berichterstatter
regelmäßig nach Berlin.
Zum Jahrestag des Mauerfalls haben wir all die Jahre immer wieder
telefoniert und uns gefreut, die Wiedervereinigung des Landes bei vielen
gemeinsamen Recherchetouren und Terminen gelebt zu haben. Nach langer
schwerer Krankheit ist Herbert Fischer im Alter von fast 76 Jahren am
Sonntag im hessischen Solms bei Gießen im Kreise seiner Familie verstorben.
Er war ein einzigartiger Kollege und Freund. Seine wohlvertraute Stimme
wird nun für immer fehlen. Thomas Purschke
11 Nov 2022
## AUTOREN
Thomas Purschke
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