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# taz.de -- Zögerliche Bundesregierung spielt Betrügern in die Karten
> Mitte Oktober startete das Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghan*innen.
> Weil die Bundesregierung chaotisch kommuniziert, sind viele Betroffene
> verunsichert. Eine Fake-Stiftung nutzt das aus
Bild: Von der Bundesregierung enttäuscht: Demonstrantinnen forderten im August…
Von Lena Reiner
Die Bundesregierung lässt sich mit Hilfen für gefährdete Afghan*innen
weiter Zeit. Zwar wurde am 17. Oktober der Start des
Bundesaufnahmeprogramms verkündet, seitdem ist aber wenig passiert. Diese
Lücken nutzen nun mutmaßlich Betrüger*innen aus.
Seit Kurzem erhalten sowohl die Organisation Reporter ohne Grenzen als auch
Mission Lifeline täglich dubiose E-Mails. Absender ist die „IOMA fundation“
– mit Schreibfehler im Wort, das eigentlich „foundation“, also Stiftung,
heißen müsste. Die Nachrichten erhalten jeweils die persönlichen Daten
eines angeblich gefährdeten afghanischen Menschen inklusive Passnummer,
Mobilnummer und dergleichen mehr.
Katja Heinemann von Reporter ohne Grenzen sagt: „Da ist eine ganz abstruse
Auswahl von Mailadressen von uns dabei, die schlichtweg gar nichts mit der
Nothilfe für afghanische Journalist*innen zu tun haben.“ Der offene
Verteiler gibt Preis, dass die Nachricht mit all den vertraulichen Daten
unabgesprochen an mehr als ein Dutzend Mailadressen geschickt wurde – sogar
der Chef vom Dienst der Bundesregierungswebseite zählt zu den
Empfänger*innen.
Als eine Kontaktperson in Kabul versucht, IOMA an der Büroadresse, die sie
in ihrer Whatsapp-Beschreibung kommunizieren, anzutreffen, trifft an dem
Gebäude in der Nähe des Schar-e-Naw-Park lediglich einen genervten
Sicherheitsmann an. Der sagt ihm, dass ständig Menschen kämen und ihn nach
der Organisation fragten, die es aber hier schlichtweg nicht gebe. Offen
bleibt also, wie genau die Daten von Betroffenen aufgenommen werden und
welche Gebühr dafür verlangt wird.
Die Kontaktperson scheitert an der telefonischen Terminvereinbarung, auch
wenn er unter der angeblichen Büronummer – einem Kabuler Festnetzanschluss
– tatsächlich jemanden erreicht, der angeblich für IOMA arbeitet.
Die Fotos auf den Socialmedia-Auftritten von IOMA, ausgeschrieben soll das
Kürzel für „International Organization Migration Aid“ stehen, führen nach
Argentinien. Dort hat eine Organisation namens „Instituto de Obra Médico
Asistencial“ (Sozialwerk für medizinische Assistenz) in der Provinz Buenos
Aires Fotos von unternehmensinternen Veranstaltungen auf ihre Webseite
gestellt. Eines davon inklusive des Logos nutzt die angebliche Stiftung in
Kabul für ihre Social-Media-Auftritte. Mit den Vorwürfen konfrontiert,
bleibt eine Stellungnahme seitens der mutmaßlichen Visabetrüger aus. Die
angeblichen Webseitenlinks führen allesamt ins Leere zu einer
Fehlermeldung.
Der Mission-Lifeline-Vorsitzende Axel Steier hat sogar schon auf die
E-Mails reagiert, die mutmaßlichen Betrüger konfrontiert. „Was machen Sie?
Versuchen Sie, Plätze im deutschen Aufnahmeprogramm zu verkaufen?“ Doch
auch nach dieser deutlichen Intervention folgten täglich zwei bis drei
E-Mails mit „Bewerbungen“, schildert Steier.
Katja Heinemann von Reporter ohne Grenzen macht das zögerliche Verhalten
der Bundesregierung verantwortlich für solche Vorfälle: „Das verbildlicht
eigentlich nur das, was wir seit einem Jahr predigen: Diese unklare
Kommunikation erleichtert Betrügern das Geschäft.“
Tatsächlich ist das Chaos um das Aufnahmeprogramm groß: Bis heute heißt es
auf der Webseite des Aufnahmeprogramms unter dem Menüpunkt
„Aufnahmeanordnung“, dass diese in Kürze veröffentlicht werde. Passiert i…
das bisher nicht, obwohl eine solche Anordnung wichtig wäre, um Klarheit
über die Details und das Prozedere der Aufnahme zu geben.
Darauf angesprochen heißt es aus dem Auswärtigen Amt bloß vage:
„Außenministerin Baerbock hat anlässlich des Starts des
Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan deutlich gemacht, dass es noch
Baustellen gibt. Wir versprechen uns aber mittelfristig ein Verfahren, das
geordneter und klarer strukturiert ist, als die bisherigen Einzelaufnahmen
nach §22 S. 2 Aufenthaltsgesetz.“
Für die Erteilung von Aufnahmezusagen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms
sei die Aufnahmeanordnung nötig, heißt es weiter. Und: „Um zu Beginn des
Bundesaufnahmeprogramms bei Betroffenen keine falschen Erwartungen zu
wecken, wurde klar kommuniziert, dass derzeit nur Personen berücksichtigt
werden können, zu denen den meldeberechtigten Stellen bereits Informationen
vorliegen und dass vorerst keine individuellen Bewerbungen möglich sind.“
Tatsächlich war auf der Website aber lange nicht klar ersichtlich, dass
Bewerbungen um Aufnahme für viele Betroffene bisher noch gar nicht gestellt
werden können. Erst rund zwei Wochen nach Veröffentlichung der Website
wurde diese Information mit einem rot hervorgehobenen Disclaimer auf der
Startseite ergänzt. Zuvor war die Information nur in den FAQs und am Ende
einer Pressemitteilung zu finden.
Durch solche Wirrungen ist die Unsicherheit bei den Betroffenen
mittlerweile groß. Besonders Nichtregierungsorganisationen, die sich in
irgendeiner Weise im Afghanistankontext als Ansprechpartner*innen
gefährdeter Menschen engagiert haben, ächzen unter der Last an Anfragen von
Personen, die nach Infos suchen. So berichtet Heinemann: „Allein in der
ersten Woche haben uns mehr als 3.000 Mails erreicht. Wir mussten unser
Kontaktformular jetzt abschalten, da sich zu viele Menschen gemeldet haben;
vor allem auch solche, die gar nicht in unsere Zielgruppe fallen.“
Dabei macht Heinemann nicht den Afghan*innen selbst einen Vorwurf. Sie
sagt: „Seit einem Jahr lösen die Kommunikationswege der Regierung maximale
Verwirrung bei den Betroffenen aus.“ Der Kommunikationsstil der
Bundesregierung sei teilweise fast dubios. So werde ihnen als
Nichtregierungsorganisation bei von ihnen gemeldeten Härtefällen – diese
sind unabhängig von generellen Aufnahmeprogrammen möglich – aus
Datenschutzgründen nicht gesagt, ob diese eine Aufnahmezusage erhalten
hätten. „Dann aber werden die Betroffenen von irgendwelchen Nummern aus der
Türkei von der GIZ angerufen“, schildert sie.
Immer wieder hätten sie in solchen Fällen beruhigen können, dass es sich um
vertrauenswürdige Kontakte handle. Immer wieder habe es aber auch hier
schon Betrugsversuche gegeben. „Umso wichtiger ist es, dass es
Anlaufstellen gibt und wir ansprechbar sind“, so Heinemann. Die
Zivilgesellschaft müsse aktuell das Chaos auffangen, das durch die unklare
Kommunikation seitens der zuständigen Ministerien ausgelöst werde.
4 Nov 2022
## AUTOREN
Lena Reiner
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