# taz.de -- Das Spitzenteam aus dem Fachwerkstädtchen | |
> Wer den Namen „Buxtehude“ hört, denkt entweder an Märchen oder ein sehr | |
> erfolgreiches Handball-Team: Seit 33 Jahren spielen die BSV-Frauen in der | |
> Ersten Bundesliga. Seither haben sich die Strukturen professionalisiert. | |
> In puncto Leidenschaft nehmen sich Anja Scheruhn aus dem Aufstiegsteam | |
> und Nachwuchstalent Maja Schönefeld aber nichts | |
Bild: In der WG-Küche: Talent Maja Schönefeld | |
Aus Buxtehude Anaïs Kaluza | |
In einer Schulsporthalle schreibt Buxtehude seit drei Jahrzehnten | |
Geschichte. Vormittags turnen Schüler übers Linoleum, nachmittags | |
trainieren hier die Profis. Denn Buxtehude, eine Stadt mit Fachwerk und | |
Flüsschen, hat eins der erfolgreichsten Handballteams Deutschlands: die | |
Damen des BSV. | |
Seit 33 Jahren spielen sie in der Bundesliga. Ununterbrochen. Während | |
andere Vereine kamen und gingen, hielt sich der Buxtehuder Sportverein in | |
der Liga. Die Bilanz am Ende der vorigen Saison: 778 Spiele, davon 453 | |
Siege und 58 Unentschieden. In der ewigen Bundesliga-Tabelle thront der BSV | |
damit auf Platz zwei. Nur Bayer Leverkusen spielt länger mit. | |
Wie konnte ein Dorfverein so erfolgreich werden? | |
Anja Scheruhn blättert zurück. Sie war beim Aufstieg vor 33 Jahren dabei, | |
als Rückraum-Spielerin, Trikot-Nummer vier. Heute ist Scheruhn 57 Jahre | |
alt. Zum Gespräch in Buxtehude hat sie einen dicken, schwarzen Ordner | |
mitgebracht. Die Ringe sind bis oben gefüllt mit Zeitungsausschnitten und | |
Fotos. Ein ganzes Handballleben konserviert hinter Klarsichtfolie. | |
Scheruhn tippt auf ein vergilbtes Gruppenfoto von 1989: „Hier, das sind | |
wir.“ Fünfzehn Frauen lachen in die Kamera. Schulter an Schulter vor zwei | |
Torpfosten, in schlabbrigen Shirts, mit Vokuhilas und Stirnbändern. „Das | |
ist eine gefühlte Ewigkeit her“, sagt Scheruhn. | |
Am 8. April 1989 ist die Sporthalle in Buxtehude voll. Alle 498 Plätze sind | |
besetzt. Nochmal so viele hocken am Spielfeldrand oder pressen sich gegen | |
die Holzverkleidung. Alle wissen: Wenn der BSV siegt, steigt er auf. Und so | |
kommt es auch. Kurz vor Abpfiff steht es 19 zu 15. Die Fans zählen die | |
Sekunden runter, dann stürmen sie aufs Feld. „Diese Euphorie war | |
unbeschreiblich“, sagt Anja Scheruhn und beugt sich über ein Zeitungsfoto | |
von damals. Sie tanzt darauf mit Trainer Hans Dornbusch. Im Titel steht: | |
„Seine Vision wurde wahr.“ | |
Es stimmt. Hans Dornbusch hatte 13 Jahre zuvor die Weichen für diesen | |
Aufstieg gestellt, indem er ein junges Frauenteam aufbaute. Damit hatte ein | |
kleiner Verein wie der BSV noch Chancen, in die Bundesliga aufzusteigen. | |
Mit einem männlichen nicht – dafür war der Herrenhandball schon damals zu | |
professionell. Dornbusch suchte also nach talentierten Spielerinnen aus der | |
Region. Sie starteten in der Dritten Hamburger Liga und spielten sich hoch: | |
Oberliga, Regionalliga. | |
Dann holte Dornbusch die ersten Stars ins Team: zuerst die Jugoslawin und | |
„Welthandballerin“ Svetlana Kitić. Danach die Tschechin Jara Ivancikova. | |
Mit ihnen stieg der BSV bis in die Erste Liga auf. Über Kitić sagt Anja | |
Scheruhn: „Sie war der Knaller. Sie hat so überirdisch gespielt, dass wir | |
alle mitgewachsen sind.“ Kurz darauf fiel die Mauer, Dornbusch fuhr in die | |
DDR und kehrte mit fünf Nationalspielerinnen zurück. | |
Ein Team aus der Region plus ein paar kluge Einkäufe: So etablierte sich | |
der BSV in der Bundesliga. Heute verfolgt er eine andere Strategie. Der | |
Verein versucht, sich seine Stars selbst großzuziehen. | |
In einem Plattenbau am südlichen Zipfel der Stadt sitzt Maja Schönefeld in | |
ihrer WG-Küche. Es ist Nachmittag, die Waschmaschine vibriert. Maja ist 18 | |
Jahre alt und Rückraum-Spielerin beim BSV. Sie ist zwar schon im Kader des | |
Bundesliga-Teams und trainiert dort zweimal in der Woche mit, spielt aber | |
vor allem im Juniorenteam des BSV und in der A-Jugend. | |
Seit etwa 20 Jahren setzt der BSV auf Nachwuchsförderung. Peter Prior, | |
BSV-Manager, sagt: „Irgendwann haben wir entschieden: Das hier soll keine | |
Retortenmannschaft werden. Wir wollen nicht nur einkaufen, sondern selbst | |
ausbilden, eine gute Jugendarbeit machen.“ | |
Der BSV hat heute 18 Mannschaften und knapp 300 Spielerinnen und Spieler. | |
Schon als Vierjährige stolpern die Ersten, die „Little Buxies“, durch die | |
Halle und lernen, zu werfen, zu fangen, Slalom zu laufen. Über 100 | |
Schulbesuche, sagt Prior, mache der BSV jährlich. Um Kinder für den Sport | |
zu begeistern. | |
Für Maja Schönefeld begann es mit fünf. Erst in Lüneburg, dann entdeckte | |
sie ein BSV-Trainer. Mit zwölf fing sie an, nach Buxtehude zu pendeln: im | |
Auto ihrer Mutter oder mit der Regiobahn. Zwei Jahre ging das gut, dann | |
wurde es zu viel. Mit 14 Jahren zog Maja deshalb um, in die WG, in der sie | |
jetzt am Küchentisch sitzt. Sie erzählt davon im Plauderton. Nach einer | |
Pause schiebt sie hinterher: „Wenn man das so reflektiert, war das doch | |
ganz schön viel.“ | |
Maja besucht die „Handballakademie“. So nennt der BSV heute sein | |
Förderprogramm. Ein Rundumpaket für alle, die es nach ganz oben schaffen | |
können. Der BSV kooperiert dafür mit dem Gymnasium der Stadt – ab diesem | |
Sommer eine „Partnerschule des Leistungssports“. Die Mädchen trainieren | |
täglich. Sie werden vom Unterricht befreit, von Physiotherapeuten betreut | |
und von vier Trainern ausgebildet. Für Nicht-Buxtehuderinnen mietet der BSV | |
acht Wohnungen in der Stadt. Auch ein Wohnheim ist geplant. | |
Männliche Bundesligisten investieren schon lange in den Nachwuchs. Bei den | |
Frauen fängt das gerade erst an. Buxtehude ist ein Vorreiter. Prior sagt: | |
„Das sollte zum Selbstverständnis eines Vereins gehören.“ Es gefällt | |
außerdem Fans und Sponsoren, wenn das Mädchen von nebenan groß rauskommt. | |
Seit 2012 hat der Verein 26 Spielerinnen in die Erste Liga befördert, | |
einige sogar ins Nationalteam. | |
Auch Majas Mitbewohnerinnen haben es geschafft. Im Flur kleben zwei | |
lebensgroße Poster von ihnen. In der letzten Saison hingen sie noch in der | |
Halle, Fotos vom Kader. Ob es von Maja auch bald ein Plakat gibt? Ihr | |
Alltag ist getaktet von Trainingseinheiten, die sie aufsagen kann wie das | |
Einmaleins: „Zweimal die Woche Kraft. Also Kniebeugen, Bankdrücken, | |
Rückwärtsrudern. Fünfmal die Woche Abendtraining: Angriff, Abwehr, Konter, | |
Überzahl. Am Wochenende: Spiele.“ | |
## Eine neue Halle ist im Bau | |
Auch das hat sich geändert. Vor 33 Jahren sah das Training anders aus. „Wir | |
haben uns dreimal die Woche getroffen, abends nach der Arbeit“, sagt Anja | |
Scheruhn. Damals gab es keinen Kraftraum. Nur Medizinbälle und den Wald zum | |
Joggen. Für Scheruhn sind das Schönste aus dieser Zeit die Freundschaften. | |
Fast alle Spielerinnen von 1989 seien in Buxtehude geblieben. „Wir waren | |
noch nicht solche Wanderfüchse“, sagt Scheruhn. Sie klappt ihren Ordner zu. | |
In weißen Großbuchstaben steht auf dem Deckel „…und es war mehr als nur e… | |
Hobby“. | |
Maja Schönefeld träumt von Bundesliga, Europapokal, Championsleague. Was | |
ist für sie das Schönste am Handball? Sie überlegt. „Die Freude, die man | |
dann spürt, wenn man etwas erreicht hat. Und das Team.“ | |
In die aktuelle Saison ist der BSV mittelgut gestartet, hat schon ein paar | |
Punkte liegen lassen. Die Saison 2021/22 endete auf einem sehr guten Platz | |
3. Neben den Anstrengungen auf dem Spielfeld arbeitet der Verein auch an | |
seinen Strukturen. Die bisherige Halle soll abgerissen und durch eine neue | |
ersetzt werden. Eine mit richtigem Handballboden, LED-Banden und mehr | |
Tribünenplätzen. Einige Erdarbeiten sind schon gemacht. „Die erste Million | |
dürfte dort schon verbuddelt sein“, sagt Prior. Und auch, wenn der Bau | |
gerade durch steigende Preise ins Stocken gerät: Buxtehude macht sich | |
bereit – für die nächsten 30 Jahre. | |
21 Nov 2022 | |
## AUTOREN | |
Anaïs Kaluza | |
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