# taz.de -- Gewalt als Gesundheitsfürsorge | |
> Eine Studie hat den Umfang des Missbrauchs in Kinderkuren in St. | |
> Peter-Ording nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht | |
Eine Studie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) zeigt Umfang | |
und Grenzen von Missbrauch an Verschickungskindern in der Zeit nach dem | |
Zweiten Weltkrieg in St. Peter-Ording. So hätten ehemalige | |
Verschickungskinder sehr häufig von physischer Gewalt wie körperlicher | |
Züchtigung, Einsperren, Essensentzug oder Essenszwang berichtet, wie aus | |
der am Dienstag in St. Peter-Ording vorgestellten Untersuchung hervorgeht. | |
Sie beruht auf mehreren Tausend Seiten Archivmaterial, zehn | |
Einzelinterviews und mehreren Hundert Fragebögen einer externen Erhebung. | |
Auch seelische Gewalt sei häufig bei Interviews mit Betroffenen genannt | |
worden. Dazu gehören etwa Beschimpfungen, Nichtbeachtung, Bloßstellen, | |
Vorführen, Herabsetzen oder Verbote. Sehr selten sei es außerdem zu | |
sexualisierter Gewalt oder Arbeitszwang gekommen. | |
Nach Angaben von Helge-Fabian Hertz vom Historischen Seminar der CAU | |
dienten die Gewaltmaßnahmen aus Sicht der damals Verantwortlichen der | |
Gesundheitsfürsorge. So sollte mit dem Kontaktverbot zu den Eltern, das | |
unter seelische Gewalt falle, Heimweh reduziert werden. „Damals war das so, | |
das geht hin bis zur Körperstrafe. Das ist heutzutage natürlich undenkbar.“ | |
Die Berichte aus St. Peter-Ording können nach Angaben der Autoren dagegen | |
nicht belegen, dass es systematische Gewaltanwendungen aus niederen oder | |
ideologischen Beweggründen gab, wie etwa Sadismus. Sie unterscheiden sich | |
nach Hertz’Angaben auch substanziell von den Erziehungsheim-Skandalen, wo | |
es häufig um sexuellen Missbrauch geht. Das habe auch mit der Dauer des | |
Aufenthalts zu tun. „Natürlich ist jede Gewalterfahrung eine zu viel.“ | |
Die Kinderkuren von drei bis sechs Wochen Dauer begannen bereits kurz nach | |
dem Krieg, um sogenannten Bunkerkindern Erholung zu verschaffen. In der | |
Blütezeit der Verschickung in den 1950er- und 1960er-Jahren gab es etwa 30 | |
Heime in St. Peter-Ording. Die Studie geht von insgesamt etwa 325.000 | |
Kindern aus, die in dem nordfriesischen Ort sogenannte Erholungskuren | |
verbrachten. | |
Für alle Bundesländer der damaligen Bundesrepublik wird die Zahl der in | |
Kuren verschickten Kinder von 1945 bis 1990 nach unterschiedlichen | |
Berechnungen auf sechs bis acht Millionen oder sogar auf zwölf Millionen | |
geschätzt. (dpa) | |
12 Oct 2022 | |
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