# taz.de -- „Housing First“ auch für Familien | |
> Das Vorzeigeprojekt für Wohnungslose bekommt mehr Geld. Künftig will man | |
> auch Frauen mit Kindern in Wohnungen vermitteln | |
Von Hanna Fath | |
„Wohnen zuerst“ soll in Berlin zum Leitmotiv in der Wohnungslosenhilfe | |
werden. Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) und die Verantwortlichen der | |
Träger zogen am Montag nach vier Jahren „Housing First“ Bilanz. Dass alle | |
Klientinnen die Wohnungen halten konnten, sei nicht selbstverständlich und | |
liege an dem umfangreichen Beratungsangebot auch nach dem Einzug, sagte | |
Elke Ihrlich, die das Projekt für den Sozialdienst katholischer Frauen e. | |
V. Berlin leitet, das sich explizit an obdachlose Frauen richtet. Die | |
Nachfrage ist da: 300 Frauen ließen sich direkt zu Beginn auf die | |
Warteliste für eine eigene Wohnung setzen. Jetzt geht das Projekt in die | |
zweite Phase, 6,1 Millionen wurden im Doppelhaushalt 2022/23 dafür | |
eingeplant, eine Verdoppelung der bisherigen Mittel. In Zukunft sollen nun | |
auch wohnungslose Familien angesprochen werden. „Mütter mit Kindern leben | |
auch in Berlin auf der Straße oder in Noteinrichtungen. Das zu verhindern | |
ist eines unserer größten Anliegen“, betonte Ihrlich. | |
„Housing First“ nennt sich der Hilfeansatz aus den USA, wohnungslosen | |
Menschen ohne Vorbedingungen eine Wohnung mit eigenem Mietvertrag zu geben | |
in der Annahme, dass viele Probleme von Obdachlosen wie Drogenabhängigkeit | |
eine Folge der Wohnungslosigkeit sind. Unter Kippings Vorgängerin Elke | |
Breitenbach war Berlin 2018 ebenfalls mit diesem Ansatz gestartet. | |
Mit dem zusätzlichen Geld wollen die Trägern mehr | |
Sozialarbeiter:innen und Psycholog:innen einstellen, die die | |
Menschen nach der Wohnungsübergabe begleiten. Denn Menschen, die oft lange | |
Zeit wohnungslos waren und unter Suchterkrankungen oder Traumata leiden, | |
bräuchten umfassende Betreuung, um wieder auf eigenen Beinen zu stehen, | |
erklärte Ihrlich. Eine weitere Erfahrung aus den ersten vier Jahren: Häufig | |
gelinge es den Klient:innen in der eigenen Wohnung, wieder soziale | |
Kontakte aufzubauen und damit ein stabiles Netz, das sie in der | |
Selbstständigkeit trage, so Ihrlich. | |
Bahnt sich hier ein Paradigmenwechsel an, weg von Notunterkünften, hin zu | |
Housing First im großen Stil? Ihrlich äußerte sich kritisch zum bestehenden | |
Hilfesystem: „Was es aus meiner Sicht nicht mehr geben darf, sind | |
Notunterkünfte, wie wir sie jetzt haben.“ Als Ergänzung zu Housing First | |
forderte sie 24/7-Einrichtungen also ganztägig offene Unterkünfte statt | |
Notschlafstellen, die morgens verlassen werden müssen, wie etwa in der | |
Kältehilfe. | |
Es sei wünschenswert, dass „Housing First“ die Notversorgung langfristig | |
ersetze, da sind sich die Verantwortlichen einig. Was Geld und Aufwand | |
angeht, scheint dies bei mindestens 2.000 Obdachlosen in Berlin jedoch | |
unrealistisch. Bisher wurden 95 Wohnungen vermittelt, neben den anderen | |
Trägern will auch der Sozialdienst katholischer Frauen e. V. Berlin bis | |
Ende 2023 rund 80 weitere Frauen mit Kindern in eigenen Wohnungen | |
unterbringen. Corinna Müncho, Leiterin von Housing First Berlin: „Diese | |
Größenordnung ist noch stemmbar, was darüber hinaus möglich ist, wird sich | |
zeigen.“ | |
Wer allerdings durch das Raster fällt: Menschen aus dem EU-Ausland, die | |
nicht bereits in Deutschland arbeiten oder gearbeitet haben, stehen in den | |
ersten fünf Jahren keine Sozialleistungen zu. Ihrlich fordert, auch diese | |
Menschen in Wohnungen unterzubringen, bis sie sozialleistungsberechtigt | |
sind. | |
11 Oct 2022 | |
## AUTOREN | |
Hanna Fath | |
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