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# taz.de -- „Wir gründen eine Art progressiven Flügel“
> Zwei Streikende erklären, warum sie auch mit dem Marburger Bund
> unzufrieden sind – und wie sie die Ärztegewerkschaft auf den richtigen
> Kurs bringen wollen
Interview Hanna Fath
taz: Frau Ly, Herr Gabrysch, die Gewerkschaft Marburger Bund hat die
[1][Ärzt:innen an der Charité zu einem eintägigen Warnstreik] am Dienstag
aufgerufen. Worum geht es den Mediziner:innen?
Lam-Thanh Ly: Wir Ärzt:innen sind schon seit vielen Jahren unzufrieden
mit den Arbeitsbedingungen. Trotz der großen Unzufriedenheit hat sich die
Ärzt:innenschaft bislang noch nicht wirklich organisiert, um bessere
Arbeitsbedingungen einzufordern. Das liegt auch daran, dass der Job so
stressig ist, dass man sich neben der Arbeit kaum noch engagieren kann.
Seit der Beginn der Covidpandemie wurde es nochmal schlimmer. Die
Arbeitsbelastung ist gestiegen. Und kleine Coronaprämien für Pflegende oder
Ärzt:innen sind für uns wertlos, wenn nichts an den Arbeitsbedingungen
verändert wird.
In den aktuell laufenden Tarifverhandlungen fordert die Gewerkschaft 6,9
Prozent mehr Lohn. Welche anderen konkreten Maßnahmen sind zentral?
Ly: Wir fordern eine Begrenzung der Bereitschaftsdienste. Zurzeit
übernehmen Kolleg:innen teilweise acht bis zehn Bereitschaftsdienste pro
Monat. Dazu kommt, dass diese Dienste gar nicht für das Arbeitszeitkonto
zählen. Die Nachtdienste werden als „Ruhezeit auf Abruf“ verbucht,
tatsächlich ist es aber so, dass man in der Nacht oft überhaupt nicht
schläft, maximal ein bis zwei Stunden. Wir bestreiken jetzt auch die
Entgelttabelle, aber uns liegt viel mehr daran, gleichzeitig bessere
Arbeitsbedingungen zu schaffen und eine bessere Planbarkeit, damit wir
nicht ständig einspringen müssen.
Was Sie beschreiben, sind das Charité- oder berlinspezifische Probleme?
Julian Gabrysch: In Berlin wurde 15 Jahre lang massiv an der
Krankenhausinfrastruktur gespart, Investitionen wurden verschoben. Es geht
um Gebäudesanierungen, aber auch um die IT-Infrastruktur. Eigentlich
bräuchten wir ein großes Investment in ein modernes
Krankenhaus-Datenverarbeitungssystem. Das ist aktuell nicht drin, obwohl es
auch der Vorstand befürwortet. Hier fehlen die Finanzen auf der Ebene der
Landespolitik.
Sie wollen sich nun in der neu gegründeten Berliner
Ärzt:inneninitiative zusammenschließen. Warum braucht es diese
Vernetzung?
Gabrysch: Einerseits erleben wir, dass sich der Marburger Bund weit
entfernt hat von den „einfachen“ Klinikärzt:innen, die Rückkopplung
zwischen Charité und dem ärztlichen Personal ist über die Gremien des
Marburger Bundes nicht mehr gut gegeben. Wir haben den Bedarf für eine Art
Grassroots-Bewegung gesehen, damit wir direkt in den Austausch gehen
können. Außerdem hat der Marburger Bund zwar in den letzten Jahren ganz
ordentliche Tarifabschlüsse durchgesetzt, aber mit Blick auf die
Arbeitsbedingungen hat er seine Aufgabe als Gewerkschaft nicht wirklich gut
erfüllt. Wir gründen deshalb eine Art progressiven Flügel in der Hoffnung,
den Marburger Bund auf einen Kurs zu bringen, der die Arbeitsbedingungen
aktiver angeht.
Wie wirkt sich der Streik auf den Krankenhausbetrieb aus?
Gabrysch: Es wird eine Sonntagsbesetzung geben: Notfälle und die
Rettungsstelle werden selbstverständlich versorgt, geplante Untersuchungen
werden auf die nächsten Tage verschoben. Wir haben eine
Notdienstvereinbarung angeboten, die wurde von der Charité bislang nicht
angenommen, aber die Kolleg:innen sind sehr bemüht und besorgt um die
Patient:innen, die aktuell im Haus sind. Das hat Priorität bei allen.
Wie geht es nach dem Streiktag heute weiter?
Gabrysch: Wir hoffen, dass wir mit dem einen Streiktag mit praktisch 100
Prozent Streikbeteiligung ein so starkes Zeichen setzen, dass sich niemand
traut, schlechte Angebote in die Tarifverhandlungen einzubringen. Wir haben
das Gefühl, dass der Vorstand an konstruktiven Lösungen interessiert ist,
und hoffen, dass ein guter Tarifabschluss möglich ist. Als Berliner
Ärzt:inneninitiative werden wir uns darauf fokussieren, politisch
unsere eigene Lobby zu bilden. Weil nicht alles im Tarifvertrag geregelt
werden kann, sondern durchaus auch politische Dimensionen hat, die wir
innerhalb der Tarifverhandlungen nicht adressieren können.
Auch die Situation in der Pflege war Anlass für Streiks in den letzten
Monaten – findet hier eine Vernetzung statt?
Gabrysch: Ja, wir haben viel Unterstützung von der [2][Berliner
Krankenhausbewegung] bekommen und von ihren Erfolgen gelernt. Wir befinden
uns im Austausch und haben vor, das gemeinsam anzugehen. Es sind zwei
verschiedene Berufsgruppen, aber die schlechte Finanzierung und die
schlechte Infrastruktur teilen wir uns, da können wir an einem Strang
ziehen.
6 Oct 2022
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## AUTOREN
Hanna Fath
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