# taz.de -- taz🐾thema: EU bringt viele Chefs in Wallung | |
> Das EU-Lieferkettengesetz könnte die deutsche Regelung verschärfen. Das | |
> gefällt nicht allen. Damit es dazu kommt, organisieren 220 Organisationen | |
> eine Kampagne | |
Von Annette Jensen | |
„Yes EU can“ – unter diesem Motto läuft gegenwärtig eine Kampagne für … | |
starkes Lieferkettengesetz in Europa. Im Februar hatte die EU-Kommission | |
einen ersten Entwurf vorgelegt. Der enthält durchaus vielversprechende | |
Ansätze. So will die Kommission Unternehmen dazu verpflichten, bei ihren | |
Lieferanten auf Umweltstandards und Menschenrechte zu achten. Verstoßen sie | |
gegen diese Sorgfaltspflichten, müssen sie mit Bußgeldern rechnen. Auch | |
sollen Arbeiter:innen aus den Lieferländern die Möglichkeit bekommen, | |
gegen die europäischen Unternehmen und sogar deren Geschäftsführungen zu | |
klagen – allerdings liegt die Beweislast im Kommissionsentwurf bei den | |
ausgebeuteten oder misshandelten Menschen. | |
Hier und bei einigen anderen Punkten sieht das breite Bündnis aus NRO, | |
Gewerkschaften und kirchlichen Organisationen Verbesserungsbedarf. Auch | |
dass nur größere Unternehmen in die Pflicht genommen werden sollen, geht | |
ihnen gegen den Strich: Bleibt es bei der vorgeschlagenen Regelung, müssten | |
sich nur 1 Prozent der Betriebe in der EU um ihre Lieferketten kümmern. Die | |
Kampagne will solche Schlupflöcher schließen und organisiert deshalb | |
Ausstellungen und originelle Aktionen wie das öffentliche Verfassen von | |
„Bodengeschichten“. Dabei hocken sich Engagierte in der Öffentlichkeit auf | |
Planen oder Plakate und schreiben über Menschen, die unsere Konsumgüter | |
herstellen. Mit einer Petition an Bundeskanzler Olaf Scholz soll | |
politischer Druck aufgebaut werden. | |
In Brüssel geht derweil der Verhandlungsprozess über das Gesetz langsam | |
voran. Letztendlich müssen sich EU-Parlament, Kommission und Rat einigen. | |
Seit der Veröffentlichung des Entwurfs machen Wirtschaftslobbyisten | |
intensiv Stimmung gegen das gesamte Vorhaben und warnen vor einer | |
Überforderung in sowieso schon schwierigen Zeiten. „Die Unternehmen tun | |
schon heute das ihnen Mögliche, ihrer Verantwortung gerecht zu werden“, | |
behauptete beispielsweise der BDI. Tatsächlich aber haben die vergangenen | |
Jahre gezeigt, dass freiwillige Selbstverpflichtungen und Eigenkontrolle | |
nichts bringen. So werden beispielsweise in Brasilien Orangen nach wie vor | |
unter katastrophalen Bedingungen kultiviert: Die Pflücker:innen | |
verdienen Hungerlöhne und werden mit Pestiziden vergiftet. „Immer wieder | |
kommen sogar sklavenähnliche Arbeitsbedingungen auf den Orangenfarmen ans | |
Licht“, schreibt die Christliche Initiative Romero (CIR). 60 Prozent des | |
Safts werden in der EU getrunken. Gerade einmal 0,1 Prozent wurden unter | |
fairen Bedingungen produziert. | |
Bei brasilianischem Soja ist die EU der zweitgrößte Abnehmer. Die | |
eiweißreichen Hülsenfrüchte landen vor allem in Futtertrögen – ihr Anbau | |
führt zur Vernichtung von Regenwald und zerstört die Lebensgrundlagen der | |
indigenen Bevölkerung. Die Coamo-Kooperative ist ein großer Sojaproduzent | |
in Brasilien und wurde angeklagt wegen eines Überfalls auf die Gemeinschaft | |
der Tey Kuê, bei der ein Mensch starb und mehrere verletzt wurden. Trotzdem | |
halte die Agravis Raiffeisen AG an der Geschäftsbeziehung fest, kritisiert | |
die CIR. | |
Im kommenden Januar tritt das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft und | |
beendet die lange Zeit der „freiwilligen Selbstverpflichtung“. Dann sind | |
zunächst alle Betriebe mit mehr als 3.000 Beschäftigten für die | |
Arbeitsbedingungen bei ihren unmittelbaren Lieferanten verantwortlich. Das | |
zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat Mitte | |
August die erste Handlungsanleitung veröffentlicht, zwei weitere werden | |
folgen. Darin wird beispielsweise vorgegeben, wie ein Beschwerdeverfahren | |
für Beschäftigte in den Zulieferbetrieben konkret auszusehen haben. „Das | |
ist sehr gut beschrieben – nicht haarklein, aber klar“, lobt Frank Zach vom | |
Deutschen Gewerkschaftsbund, der im sechsköpfigen Beirat zur Umsetzung des | |
Lieferkettengesetzes sitzt. Auch Maren Leifker von Brot für die Welt hat | |
hier Sitz und Stimme. | |
Umweltkriterien und Verantwortung für die vorderen Glieder in der | |
Lieferkette enthält das deutsche Gesetz allerdings so gut wie keine. So | |
wird es kaum Einfluss nehmen auf die Arbeitsbedingungen auf Baumwollfeldern | |
oder in Bergwerken. „Deshalb muss das EU-Lieferkettengesetz unbedingt die | |
gesamte Wertschöpfungskette erfassen ohne Abstufungen und Schlupflöcher“, | |
sagt Barbara Küppers von terre des hommes. | |
Immerhin hat die Ampel im Koalitionsvertrag vereinbart, ein wirksames | |
EU-Lieferkettengesetz zu unterstützen, das sich an den UN-Leitprinzipien | |
orientiert und auch Umweltkriterien enthält wie den Schutz von Klima und | |
Wäldern. „Olaf Scholz muss seine Richtlinienkompetenz nutzen“, fordert | |
Berndt Hinzmann von Inkota. Schließlich versuchen wirtschaftsnahe Kreise | |
wie das Textilbündnis, die EU-Vorlage abzuschwächen und vor allem zu | |
verhindern, dass sie für die Lieferanten ihrer Lieferanten zur | |
Verantwortung gezogen werden können. | |
Der Prozess auf EU-Ebene wird noch dauern. Doch Hinzmann hofft, dass sich | |
damit einige Lücken des deutschen Gesetzes schließen lassen. Seit über 25 | |
Jahren engagieren sich Menschen in Deutschland für bessere | |
Arbeitsbedingungen in der internationalen Textilwirtschaft, der Faire | |
Handel entstand bereits in den 1970er Jahren. Es braucht einen langen Atem, | |
um Verbesserungen zu erzielen. Mit dem deutschen Lieferkettengesetz ist | |
ohne Zweifel ein Paradigmenwechsel gelungen. Neue EU-Vorgaben könnten den | |
Schwung verstärken. Dafür wünscht sich die Kampagne „Yes EU can“, an der | |
220 Organisationen aus aller Welt beteiligt sind, breite Unterstützung. | |
17 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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